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Standpunkt

Vom Touristen zum Reisenden

Print-Ausgabe 18. Februar 2022

Meistens kommt’s anders als gedacht. Diese Erkenntnis setzt sich mehr und mehr auch bezüglich der Überzeugungen durch, was sich nicht alles durch die Pandemie in der Branche ändern werde. Wie euphorisch waren anfangs – trotz der enormen Schockwirkung, die der komplette Stillstand verursachte – die Ansichten, dass nun alles nachhaltiger, besser und wertorientierter werde. Mahner, dass hier schlicht der Wunsch Mutter der Gedanken sei, gab es in ausreichender Zahl. So ist für den Direktor des WienTourismus Norbert Kettner klar, dass „derartige Einschätzungen mit Vorsicht zu genießen sind. Wir sind oft voreilig in der Bewertung, nur weil es ein paar kluge Leute behaupten.“ Wie Recht er damit hat. Denn es tritt immer öfter zu Tage, dass sich nicht wirklich etwas ändert. Oder nur relativ wenig. Und das ist schade.

Georg Steiner, innovativer Tourismuschef von Linz, brachte es vor kurzem mit der provokanten Frage auf den Punkt: „Ist der Tourismus nicht zu resilienzfähig?“ Mag sein. Nachdenken ist trotzdem erlaubt. So wie es Christian Kresse, Geschäftsführer der Kärnten Werbung, in einem Vortrag vor bundesdeutschen Touristiker*innen anregte. Und damit die Zuhörer*innen verblüffte. „Wir lieben den Tourismus und jeder von uns will Touristiker sein“, erntete er zunächst volle Zustimmung. Doch, so Kresse weiter, wie stehe es um die Begriffe Overtourismus oder Tourismushochburgen? Wer will Tourist*in sein, Touristenplätze aufsuchen und Massentourismus erleben? Es wurde zunehmend still und stiller im Raum. Allen wurde bewusst, wie negativ der Begriff mittlerweile besetzt ist. Womit auch die Erkenntnis einhergeht, dass der Kern des so dringend notwendigen Umdenkens offensichtlich nicht in der (erfreulichen) Widerstandskraft des Wirtschaftszweiges liegt, sondern in dessen Auswüchsen.

Sprache hat bekanntlich einen verblüffenden Einfluss auf das Denken. Es dauerte seine Zeit, bis das unschöne Wort „Fremdenverkehr“ aus dem Sprachgebrauch eliminiert war. Jetzt scheint der Tourismus an der Reihe zu sein. Christian Kresse schlägt vor, ihn durch „Reisen“ zu ersetzen, und zwar im Sinne von „Travel“. Jeder ist gerne ein Reisender und deklariert sich damit als Wissenssuchender, einer der sich mit Kultur und Menschen befasst.

Ob sich der Vorschlag des Kärnten Werbung-Chefs durchsetzt, wird sich weisen. Fest steht, dass dies mit seiner abschließenden Aufforderung geschehen sollte: „Wir müssen in postpandemischen Zeiten aufpassen, was wir sagen und welche Begriffe wir verwenden. Wir brauchen einen wirtschaftlichen Tapetenwechsel!“
„Geht’s nach altem Muster weiter oder können wir nicht doch etwas ändern“, stellte Georg Steiner im Rahmen der virtuellen Linz-Pressekonferenz die Frage in den Raum, um gleich selbst darauf mit unkonventionellen Maßnahmen Antworten zu liefern. Also: Ändern wir’s, die Branche ist überreif für neue Wege des Reisens, der Nachhaltigkeit, des Kultur- und Wissensaustausches, meint nicht alleine der

Lupo

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