Print-Ausgabe 31. Jänner 2020
Mit nichts lässt sich die Masse besser manipulieren als mit Halbwahrheiten. Eine Feststellung, die in Zeiten von „Fake News“ wie auf der Zunge zergeht. Die Frage ist nur: Wo beginnt die halbe Wahrheit und wohinter verbirgt sich die ganze?
Der Tourismus bleibt davon nicht verschont. Stichwort „Overtourism“. Die Medien lieben ihn. Die Berichte darüber – bestenfalls verzerrt. Keine Pressekonferenz, kein Interview mit einem Touristiker oder einer Touristikerin, bei dem nicht die Frage nach „Overtourismus“ gestellt wird.
Was er ist? Wikipedia definiert ihn als „das Entstehen von offen zutage tretenden Konflikten zwischen Einheimischen und BesucherInnen an stark besuchten Zielen“. So richtig weiß aber wohl niemand, was unter „Overtourismus“ zu verstehen ist. Als Schlagwort klingt er aber verdammt gut – ob in Print, auf Social Media-Kanälen oder in TV-Diskussionen. Herhalten als Beispiele müssen allen voran Venedig, die Salzburger Getreidegasse und Hallstatt. Amsterdam und Barcelona werden auch gerne angeführt.
Die „Wiener Zeitung“ widmete dem Thema kürzlich unter dem Titel „Die Kehrseite des Tourismusbooms“ eine ganze Seite. Anlass: Der Begriff des „Overtourism“ fand seinen Eingang ins Regierungsprogramm 2020-2024 (Seiten 166 und 169). Darin wird u. a. festgehalten, dass den „massentouristischen Phänomenen entgegengewirkt“ werden und das „Wachstum nicht mehr ausschließlich an Nächtigungszahlen“ gemessen werden soll. Auch die Auswirkungen des Tourismus auf Landwirtschaft und Bevölkerung sollen künftig stärker in Betracht gezogen werden.
Klingt, wie gesagt, gut. Doch das Vorhaben baut – wie so vieles – auf Halbwahrheiten auf. Wer etwa in Barcelona nicht die Sagrada Família oder Las Ramblas aufsucht, sondern ein paar Meter abseits davon marschiert, findet sich fast einsam und allein in typisch katalanischer Atmosphäre. Profis sprechen deshalb lieber von „undermanaged tourism“. Das zieht aber beim Publikum nicht. Und so bleibt’s beim „Overtourism“ und seinen Halbwahrheiten.
Zu denen zählen übrigens auch die am Ende des „Wiener Zeitung“-Beitrags angeführten „indirekten Subventionen“. Dazu reiche, so die Argumentation, ein Blick auf die regionalen Arbeitslosenzahlen: „Die Kosten der saisonal so unterschiedlichen Nachfrage nach Arbeitskräften werden von der Allgemeinheit getragen.“ Hm. Die andere Seite der Medaille, nämlich jene, dass unabhängig von den Saisonen diese „Allgemeinheit“ extrem vom Tourismus profitiert, wird da geflissentlich unter den Tisch gekehrt.
Halbwahrheit also. Wir haben gelernt, mit ihr zu leben. In Zeiten von Trump, Brexit & Co. stärker denn je. Nehmen wir’s deshalb locker: Die ganze Wahrheit bahnt sich à la longue sowieso ihren Weg und weil der hart und beschwerlich ist, muntern wir uns zwischenzeitig mit Halbwahrheiten auf. Manchmal sind die ja auch ganz originell, meint
Lupo
Erstellt am: 31. Jänner 2020
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