ANA
Standpunkt

Folterinstrument des Staates

Print-Ausgabe 14. Juli 2023

Seit dieser Woche herrscht im Nationalrat weitestgehend tagungsfreie Zeit. Sie dauert bis 12. September. Rund zwei Wochen bevor es soweit war, gab es noch eine Sitzung des Tourismusausschusses, in deren Rahmen auch die aktuelle Entwicklung dieses Wirtschaftszweiges im Fokus stand. Tourismus-Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler ging davon aus, dass im bevorstehenden Sommer das Rekordjahr 2019 gemessen an den Nächtigungen noch außer Reichweite liegt. Das zeugt von Realitätssinn: Bereits von Jänner bis April 2023 lagen sie um −4,7 % unter dem Niveau des letzten Jahres vor der Pandemie, das als Benchmark dient.

Die andere Seite der Medaille stellen die touristischen Umsätze dar. Hier ist es üblich, jene der Beherbergung und Gastronomie heranzuziehen. Diesbezüglich verbuchte Österreich laut UVA (Umsatzsteuervoranmeldung) im Zeitraum Jänner bis April 2023 einen grandiosen Bestwert: 9,3 Mrd. Euro an steuerpflichtigen Umsätzen bedeuten ein Plus von satten +18,8 % gegenüber der Vergleichsperiode von vor vier Jahren. Schön, oder?
Weniger schön ist die Tatsache, dass im selben Zeitraum die Geldentwertung ebenfalls auf Rekordwerte hochgeschnellt ist und zwar in Höhen, die bisher nur 1974 und 1975 erreicht wurden. Um es bildlich darzustellen: 1.000 Euro zu Beginn des Jahres 2019 sind aktuell nur noch rund 794 Euro wert. Der für die Debatte im Tourismusausschuss beigezogene Senior Economist des WIFO (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung) Oliver Fritz brachte es auf den Punkt: Er geht davon aus, dass es heuer – inflationsbereinigt – einen sinkenden Umsatz geben wird.

Bereits in den ersten vier Monaten 2023 (die UVA für Mai wird erst ab Mitte Juli erhoben) schmolz der Umsatzrekord von 9,3 Mrd. Euro auf inflationsbereinigt reale 7,0 Mrd. Euro zusammen. Zum Vergleich: Von Jänner bis April 2019 waren es mit 7,8 Mrd. Euro deutlich mehr. Selbst unter Berücksichtigung des gesunkenen Nächtigungsvolumens geht sich die Rechnung nicht aus: Wurden in den ersten vier Monaten 2019 in Österreichs Beherbergung und Gastronomie pro Gästenacht noch 139,29 Euro erwirtschaftet, so sind es heuer unter Einberechnung der Inflation lediglich 130,91 Euro, also um 6,0 % weniger.

Das sind viele Zahlen, die hier genannt werden. Zu viele. Deshalb sei an dieser Stelle die Kernaussage getätigt: Österreichs Tourismus ist nicht in der Lage, den derzeit vorherrschenden extremen Preisanstieg zu kompensieren. Die deutlich nach oben geschnellten Energie- und Arbeitskosten sind da noch gar nicht berücksichtigt.

So sieht die aktuelle Situation aus. Da gibt‘s nichts zu beschönigen. Auch nicht zu jammern, denn letztendlich sind die überwiegende Mehrheit der Konsument:innen in einer ähnlichen Lage und auch die meisten Wirtschaftszweige und Unternehmen. Nehmen wir es also, wie es ist, und machen das Beste daraus? Mag sein. Was sich aber hartnäckig hält, ist der Verdacht, dass die hohe Inflation vielen Politiker:innen nicht ungelegen kommt: Höhere Preissteigerungen stellen für Staaten bekanntlich den einfachsten Weg dar, ihre Schulden abzubauen. Dabei kann aber nur allzu leicht übers Ziel geschossen werden. Hoffen wir deshalb, dass die tagungsfreie Zeit im Nationalrat dazu genutzt wird, um über Inflation, die oft auch als „Folterinstrument des Staates“ bezeichnet wird, nachzudenken und die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Zum Nutzen aller und vor allem auch zum Nutzen des Tourismus, meint

Lupo

Interessant sind ergänzend dazu folgende weiterführende Berichte:
Standpunkt

Gustostückerl

16. Juni 2023 | Standpunkt
Standpunkt

„Modern Times“

26. Mai 2023 | Standpunkt
Standpunkt

Beeindruckendes

14. April 2023 | Standpunkt

Kommentar schreiben

Bitte die Netiquette einhalten. * Pflichtfelder

Nach oben