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Rottenbergs Roadbook

Service am Platz

Print-Ausgabe 9. September 2016

„Lüge!“ kam es aus dem Nachbarabteil. Glucksend: „Chris Lohner lügt!“ Noch ein Lacher. Dann eine zweite Stimme von hinter der anderen Trennwand. Wütend: „Es reicht! Ich reiß denen den A… auf.“

Sekunden später stob der Besitzer der Stimme vorbei. Typ Alphatier. Gewohnt, dass die Welt nach seiner Pfeife tanzt. Die Crew des Speisewagens tat mir leid.

Es war im Railjet. Businessklasse. Zweite Klasse: Knackevoll. Erste: Voll. Business: Halbleer. In First & Business flötete Chris Lohner: „Wir verwöhnen Sie gerne auch am Platz.“ Bloß: Da kam kein Kellner. Nie.

Die Kellnerin, die das Alphatier dann zu uns schleifte, war blass. Ihre Hiobsbotschaft: Die Küche sei fast leergegesssen. Der Zug so voll, der Ansturm so massiv, dass die Servicekräfte seit Fahrtbeginn keine Sekunde Luft gehabt hätten. Alphamann drehte wieder auf: Die Kellnerin könne sofort mit der Jobsuche beginnen. Er kenne ihre Chefs. Man golfe gemeinsam. Die Augen der Kellnerin wurden wässrig.

Da meldete sich die Glucks-Stimme wieder. Nicht lachend, sondern stinksauer: Ob es dem Alphatier noch gut gehe? „Wie eierlos muss einer sein, den Frust über katastrophale Personal- und Warenlogistik so am Kellner auszulassen! Diese Frau kann am allerwenigsten dafür.“ Der Alphamann bekam keine Chance zu antworten: „Wenn Sie wirklich ein Mann sind, rufen Sie jetzt und hier Ihre tollen Freunde an. Na los! Zeigen Sie, was Sie drauf haben – aber nicht an dem Mädel.“ Der Alphamann verschwand hinterm Laptop. Mucksmäuschenstill. So gut wie an diesem Tag hat es mir im Railjet noch nie geschmeckt.

Thomas Rottenberg

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