ANA
Rottenbergs Roadbook

Die Klimakatastrophe

Print-Ausgabe 26. August 2016

Natürlich wird das keiner zugeben. Aber ich behaupte: In jedem Buslenker- oder Straßenbahner-Aufenthaltsraum hängt ein Punchingball. Auf dem steht „ich bin der Erfinder der Klimaanlage“. Und alle, die im Sommer Öffis steuern, dürfen sich daran austoben.

Ich bestaune Bus- und Bim-Lenker schon im Alltag ob ihrer Gelassenheit. Im Sommer aber bewundere ich sie: Ich würde dem Dritten, der mir die „richtige“ Einstellung der Klimaanlage – äh – „erklärt“, an die Gurgel gehen.

Früher galt: Wenn es heiß ist, ist es heiß. Man flucht, litt – und schwitzte. Heute wird klimatisiert: Von der Sonne brutal angestrahlte Blech-Büchsen, die alle drei Minutaen ein Viertel ihrer Seitenfläche öffnen um erhitzte Luft und Menschen ein zu lassen, sollen eine konstante, angenehme Innentemperaturen aufweisen. Sagt die PR-Abteilung. Aber sagen kann man bekanntlich Vieles.

Im wirklichen Leben muss die Anlage dann so angasen, dass frisch eingestiegene Fahrgäste zuerst „angenehme Kühle“ empfinden – und drei Minuten später spüren, wie draußen feuchtgeschwitzte Hemden am Körper nasskalt gefrieren.

Das Resultat: Man flucht, leidet – und verkühlt sich. Und man belehrt den Fahrer: Über die „richtige“ Temperatur. Nur: Die existiert nicht. Die Suche nach ihr spaltet Familien und Büros – aber in den Öffis, unter Fremden in Hektik und Gedränge, erwartet man, sie zu finden? Ernsthaft? Das war früher besser. Ehrlicher. Doch der Zeitgeist sagt, dass Komfort und Klimageräte eins sind. Eine glatte Lüge: Denn in urbanen Öffis sind Klimaanlagen nicht die Lösung – sondern das Problem.

Thomas Rottenberg

Ähnliche Artikel

Rottenbergs Roadbook

Licht und Schatten

12. August 2016 | Rottenbergs Roadbook
Rottenbergs Roadbook

Hundstage

29. Juli 2016 | Rottenbergs Roadbook
Rottenbergs Roadbook

Fernost-Frühschicht

15. Juli 2016 | Rottenbergs Roadbook

Kommentar schreiben

Bitte die Netiquette einhalten. * Pflichtfelder

Nach oben