Print-Ausgabe 7. Oktober 2016
Mein Freund B. meint, die Dame spräche “g’spreizt”. Auf wienerisch steht das irgendwo zwischen „übertrieben“ und „nervig“. Ich sehe das anders. Ganz anders. Obwohl ich die ersten ein- oder zwei Mal auch erstaunt die Augenbraue hochzog. Denn: Würden Sie erwarten, in Wien mit „Monsieur“ angesprochen zu werden? Auf einem Bahnhof – von einer ÖBB-Mitarbeiterin? Eben.
Als die Dame mich das erste Mal „monsieurte“, dachte ich, sie scherze. Oder versuche, dem tristen Kabuff, in dem während des Baus des Hauptbahnhofes in Wien Meidling die ÖBB-Businesslounge lag, ein wenig Flair und Atmosphäre einzuhauchen. Also antwortete ich französisch. Die Unterhaltung endete an dieser Stelle.
Nichtsdestotrotz verabschiedet sich die freundliche Dame als ich zum Zug eilte wieder Französisch. Zur Hälfte: „Auf Wiedersehen, Monsieur.“
Seither habe ich sie oft gesehen: Aus dem Keller in Meidling zog sie in die Beletage des Hauptbahnhofs. Der „Monsieur“ kam mit. Jede Frau ist „Madame“ – und alle, die so angesprochen werden, lächeln. Erstaunt – dann fröhlich.
Nicht, dass das wichtig wäre. Dass Züge deshalb schneller oder pünktlicher fahren. Darum geht es nicht. Sondern um etwas anderes: Während immer mehr Unternehmen ihre Mitarbeiter in immer starrere Wording-Korsette zwingen, alles gestreamlined, austauschbar und anonym wird, ist da eine individuelle Note. Ein Schmäh. Nix Großes – aber etwas Persönliches. Von einer – für alle. Das tut gut. Darum: Merci, Madame.
Erstellt am: 07. Oktober 2016
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