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Wann Kritik nicht mehr nur kleinlich ist

Print-Ausgabe 18. Oktober 2019

Der erste Blick verspricht einen schönen Urlaub: Eine parkartige Hotelanlage, modernes Ambiente, Schirme und Liegen nicht nur um den großen Pool, sondern vor allem auf einer gepflegten Wiese in ausreichender Zahl locker verteilt, großzügige All Inclusive-Buffets, geräumige Zimmer, laut Gästeinfo direkt an einem der schönsten Strände. Ausgezeichnet mit vier (vom Reiseveranstalter vergebenen) Sternen. Mit dem auch noch im Oktober ziemlich verlässlichen Sonnenschein auf Zypern optimale Voraussetzungen.

Es gibt freilich auch Gäste, die in kleinlicher Weise weniger Erfreuliches registrieren. Etwa, dass für das Fernsehprogramm im Zimmer zwar „deutschsprachige Sender“ und „SAT TV“ angekündigt sind, unter den über 50 Programmen neben zwei englischsprachigen und unzählbaren russischen aber nur ein einziger deutschsprachiger Kanal im Angebot ist – ausgerechnet „Servus“ aus Österreich, mit zum Teil erstklassigen (Tier-) Dokumentationen, aber dürftigen Nachrichten. Die Begründung des Hotels beleidigt die Intelligenz der Gäste: Die ungünstige geografische Lage der Insel schränke die Empfangsmöglichkeiten ein. Satellitenfernsehen funktioniert sogar am Nordpol und warum sollte, was mit einem kleinen österreichischen Privatsender möglich ist, mit großen deutschen nicht gehen?

Zum Entertainment gehören auch die „Themenabende“, mit denen die oft eindrucksvoll umfangreichen, aber mangels Abwechslung schnell langweiligen All Inclusive-­Buffets belebt werden sollen. Mit „Cyprus Night“ sollte beispielsweise den Gästen die lokale Küche nahegebracht werden, mit „Sea Food“ das Angebot des Meeres rund um die Insel. Allen gemeinsam war, dass das Motto am Restauranteingang angekündigt wurde – und das war’s dann auch: Zwei, drei einschlägige Gerichte unauffällig in das übliche Allerweltsangebot eingestreut, ohne irgendeinen Hinweis, ohne jede Dekoration. Besonders eindrucksvoll war der „Gala Abend“, auf den die Gäste sogar mit einem Flyer in allen 200 Zimmern hingewiesen wurden: Keiner der befragten MitarbeiterInnen konnte Auskunft geben, was an dem Angebot „Gala“ sein soll. Auch sonst war alles, wie bei jeder Mahlzeit: Eine halbe Stunde vor Schluss wurde das Umdecken der Tische begonnen, die noch in Gala-Stimmung schwelgenden Gäste konnten erleben, wie flott und geräuschvoll das geht. Wer beim Buffet trödelte, musste gewärtig sein, dass bei seiner Rückkehr das weiße Tischtuch samt Besteck und halbvollem Weinglas bereits gegen ein Plastik-Set für das Frühstück ausgetauscht war – übrigens das billigste Stück von IKEA, das als Folge der Überbeanspruchung bereits wenig elegante Wellen zeigt. Der empfohlene Dress Code „Schwarz oder Weiß“ erschöpfte sich im weißen Anzug des Saxophon­spielers, der sich in der Lounge Bar erfolgreich bemühte, südamerikanische Rhythmen wie den „Traurigen Sonntag“ klingen zu lassen. Eine angekündigte „Präsentation des Management- Teams“ beschränkte sich auf das Abspielen des Haus-Videos, das auch über die Zimmerfernseher gezeigt wird – ohne Team, Erklärung oder gar Entschuldigung.

Außer dem inzwischen weltweit branchenüblichen Mangel an Stauraum ist in den Zimmern die Minibar bemerkenswert: Ihre Gitterfächer sind so niedrig, dass auch kleine Mineralwasserflaschen nur quer liegend untergebracht werden können und beim Öffnen der Türe zum Herausrollen neigen. Egal: Der kleine Kühlschrank ist in einem allseits verschlossenen Kastl eingebaut und seine Abwärme reicht aus, um auch seinen Innenraum warm zu halten.

Im nahezu behindertengerechten Bad ist der Duschbereich durch geriffelte Fliesen fast rutsch­sicher, auf den schon bei ein paar Tropfen Wasser eisglatten Bodenfliesen der Umgebung kann man sich an vorbildliche Halte­griffe anklammern. Die Tendenz des dünnen Duschvorhanges zur Körpernähe ist gewöhnungsbedürftig, eine in den Wandfliesen eingelassene Seifenschale ist so niedrig, dass wirklich nur ein Stück Seife Platz findet. Die üblichen Shampoo- oder Duschgel-Flaschen kann man nur am Boden absetzen – genau jene Bückbewegung, die nicht nur Behinderte, sondern auch nicht mehr ganz fitte Ältere besonders schätzen. Als Ablage etwa für feuchte Handtücher oder Unterwäsche kann nur das WC dienen, dessen Brille auch nach zwei Beschwerden so zerlempert ist, dass die Benutzer ein Absturztrauma befällt.

Über jeden einzelnen dieser Schwachpunkte werden sich manche geübte Hotelgäste eher amüsieren, nur kleinliche wirklich aufregen. Aber wie kleinlich muss man eigentlich sein, wenn man ihre Summe als eindeutig zu viel für vier Sterne ansieht?

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