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„Urlaubskassa“ ist kein taugliches Vorbild

Print-Ausgabe 4. Oktober 2019

Unter den Wünschen, deren Erfüllung die Gewerkschaft Vida von der künftigen Bundesregierung fordert, steht vor sehr allgemein gehaltenen, wie „familienfreundliches Arbeitsleben“, die Schaffung einer „Tourismusurlaubs- und Abfertigungskassa“ nach dem Vorbild der Bauwirtschaft. Ganz neu ist das nicht, seit Jahren hat man davon aber nichts gehört, sodass ein gewisser Überraschungseffekt unbestreitbar ist. Er blieb allerdings wirkungslos, weil diese Forderung von der Wiener Vida-Landesgruppe genau drei Tage vor der Wahl bei einer Pressekonferenz verkündet wurde. Wie zu erwarten, war die Zeit zu kurz, um ein wahrnehmbares Medienecho auszulösen. Die ohnedies nur rhetorische Frage, wozu diese Veranstaltung gut war, blieb unbeantwortet.

Als Unterfütterung seiner Forderungen hatte der ÖGB 81 Fragen an alle Parteien geschickt. Lediglich die NEOs waren mutig genug, auf relativ viele Fragen mit Ablehnung zu reagieren. Das aktuelle Beispiel: „Sind Sie für Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Branchen mit mangelhafter Attraktivität, wie z. B. im Tourismus- und Gastro­gewerbe, durch die Schaffung einer Tourismusurlaubs- und Abfertigungskassa?“ Alle Parteien stimmten zu, dass es sinnvoll wäre, bewährte Branchenlösungen auch für andere Bereiche zu adaptieren. Nur von den NEOs kam ein Einwand: Sie stellten in Frage, ob für diesen Verbesserungseffekt tatsächlich eine solche Kasse nötig ist.

Offenbar hat sich kaum jemand die Mühe gemacht, einen prüfenden Blick auf diese Einrichtung zu werfen. Das „Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz“ wurde vor Jahrzehnten geschaffen, um das für das Bauwesen typische Problem in den Griff zu bekommen: Bei den für die Branche üblichen häufigen, meist wetterbedingten Unterbrechungen der Arbeitstätigkeit und der Dienstverhältnisse mit Wechsel des Arbeitgebers, entsteht der Anspruch auf Leistungen wie Urlaub, die von der Dauer der Tätigkeit und der Betriebszugehörigkeit bestimmt werden, nur zum Teil bis gar nicht.

Durch das Gesetz wurden diese Dinge in eine „Urlaubskassa“ ausgelagert, die durch Sonderregelungen eine gewisse Kontinuität simuliert und den Unternehmen die komplizierte Berechnung und Abwicklung von Urlaubsansprüchen und Urlaubsgeld abnimmt, dafür aber saftige Lohnzuschläge einfordert. Mit der „Abfertigung neu“ kam noch die Einrichtung einer eigenen „Abfertigungskassa“ dazu – mit höheren Leistungen, als die üblichen Pensionskassen, aber auch deutlich höheren Lohnzuschlägen. Von den Arbeitnehmern kommen kaum Klagen, weil sie unbestreitbar Vorteile genießen, Arbeitgeber finden die Zuschläge, die sie für das „Zwangsservice“ leisten müssen, bei weitem zu hoch. Umso mehr, als sie zwar von den schlimmsten bürokratischen Auswüchsen des komplizierten 42 Seiten-Gesetzes entlastet sind, aber trotzdem umfangreiche Melde-, Aufzeichnungs- und Kontrollpflichten zu leisten haben, mit Strafandrohungen in beachtlicher Höhe.

Was besonders irritiert, ist der ausufernde Aufwand. Die Urlaubskassa ist als „Gesellschaft öffentlichen Rechts“ konzipiert, ähnlich den Krankenkassen, mit Ausschüssen, Kontrollgremien, Vorständen und Obmännern, Direktoren und Beiräten in den Bundesländer-Niederlassungen, alles akribisch paritätisch von der Arbeiterkammer und der Wirtschaftskammer besetzt. Jeder Funktionär hat seinen Stellvertreter in der Komplementärfarbe. Die rund 1,5 Milliarden Einnahmen aus Lohnzuschlägen werden von über 200 Bediensteten so gut verwaltet, dass Überschüsse entstehen. Etwa drei Dutzend sind Kontrollore, die in den Betrieben und auf Baustellen unterwegs sind und bei Unkorrektheiten Strafen verhängen. Die Mitarbeiter haben ein eigenes Besoldungsrecht mit komfortablen Konditionen, der Jahresaufwand pro Kopf lag bereits vor längerer Zeit (und damit nicht mehr wirklich aktuell) über 90.000 Euro.

Wohlgemerkt: Dieser enorme Aufwand für einen – unfreundlich formuliert: Privilegienstadel – wird für eine genau genommen rein technische Hilfsleistung für rund 10.000 Bettriebe mit 120.000 Mitarbeitern betrieben. Das muss im Zeitalter der Digitalisierung auch weniger kompliziert und billiger gehen. Die Tourismuswirtschaft hat zwar unter anderem ähnliche Probleme, aber in weit geringerem Ausmaß. Vida-Tourismusvorsitzender Berend Tusch konnte jedenfalls kein Aufgabenspektrum für eine vergleichbare Institution überzeugend darstellen – da müsste man darüber reden. Die Urlaubskasse der Bauwirtschaft ist dafür jedenfalls kein taugliches Vorbild.

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