Print-Ausgabe 6. September 2019
Die ausführliche Berichterstattung über die Salzburger Festspiele brachte selbstverständlich auch die von Touristen verstopfte Getreidegasse spektakulär ins Bild. Das verlieh einem der Lieblings-Medienthemen des heurigen Sommers neuen Schub: Overtourism – vor allem Billigflieger und Kreuzfahrtmonster importieren Massen von Besuchern, die mit Bussen zu den touristischen Hotspots gekarrt werden, diese niedertrampeln und wieder verschwinden. Hauptkritik: Diese „Tagestouristen“ belasten die lokale Infrastruktur enorm, erbringen aber vor Ort keine Wertschöpfung.
In Verbindung mit den Festspielen kam dazu in einem ausführlichen Kurier-Interview Sepp Schellhorn zu Wort: Er betreibt ein bekanntes Restaurant auf dem Mönchsberg (und ein Hotel in Goldegg), ist Wirtschafts- und Kultursprecher der NEOs, deren Salzburger Landeschef und der lautstärkste Tourismus-Repräsentant im Nationalrat. Zu den Tagestouristen bestätigt er die landläufige Einstellung: Es gibt mittlerweile so viele von ihnen, dass sie von den Einheimischen als verdrängender Störfaktor empfunden werden. „Ihre Aufenthaltsdauer beträgt zwei bis dreieinhalb Stunden, sie gehen hier auf’s Häusl und fahren wieder,“ wird er zitiert. Er fordert – „für einen liberal denkenden Menschen fast undenkbar“ – Lenkungsmaßnahmen und Beschränkungen. So sollten jene, die auch übernachten, bevorzugt behandelt werden. Solange man nicht weiß, wie das geht, sollen wenigstens die knausrigen Störenfriede verstärkt zur Kasse gebeten werden: Die erste kürzlich auf 50 Euro verdoppelte Bus-Parkgebühr sollte auf 500 Euro erhöht werden. Grundsätzlich sei das Slot-System für Busse als Beitrag der öffentlichen Hand zur Lösung der Tagestouristen-Probleme nicht ausreichend. Dass die Stadt kaum Ambitionen zeigt, mehr zu tun, könnte daran liegen, dass sie als Betreiber der Festung und der Festungsbahn zu den Profiteuren des Tagestourismus zählt.
Die Feststellung, dass jemand am Bus-Tagestourismus verdient, führt zwangsläufig zur Frage, ob die Wertschöpfung dieses Sektors wirklich so marginal ist, wie immer behauptet wird. So überraschte kürzlich die Meldung, dass vier im Bereich des Salzkammergutes angesiedelte Tourismusorganisationen eine Marketingaktion um Gäste aus Indien durchführen. Spezieller Anlass ist das Entstehen eines „Bollywood“-Filmes mit Traunsee-Schloss (-Hotel) Orth im Zentrum. Filmdrehorte sind seit langem bewährte Reisedestinationen. Salzburg profitiert nach wie vor in Japan und den USA vom Film „Trapp Familie“, seit der Fernseh-„Bergdoktor“ in Ellmau ordiniert, haben Fan-Reisen in dieser Tiroler Region einen durchaus spürbaren Stellenwert. Auch der Hallstatt-Boom hat einen ähnlichen Auslöser: Seit in China eine Kopie des malerischen Ortes errichtet und in Film und Fernsehen dargestellt wurde, und auch die koreanische Filmwirtschaft diese attraktive Kulisse entdeckt hat, ist die Zahl der Reisebusse mit „Tagestouristen“ bis an die 20.000 pro Jahr angewachsen. Dass die gastliche Einstellung der rund 700 Einwohner damit überfordert wird, ist leicht nachvollziehbar: Die Proteste und der Ruf nach Entlastung sind inzwischen auch international vernehmbar. Überraschend ist daher, dass Hallstatt zu jenen Destinationen gehört, die sich nun in Indien um Besucher bemühen. Wird da der Overtourism noch beworben?
Tatsache ist, dass die Maßnahmen gegen touristische Überforderung nur in Ausnahmefällen auf eine echte Reduktion der Besucherzahlen ausgerichtet sind. Auch in Hallstatt hat man sich nach ausführlichen Diskussionen letztlich nur auf ein Slot-System für Busse nach Salzburger Vorbild geeinigt. Warum sagte Bürgermeister Alexander Scheutz bei den Salzburger Verkehrstagen deutlich: „Dass alle Besucher nur im Bus essen, ist eines von vielen Klischees. Insgesamt bringen sie eine hohe Wertschöpfung.“
Nicht einmal in Venedig, wo der überbordende Besuchstourismus tatsächlich die materielle Existenz der Stadt gefährdet, wurde konkret irgendetwas zu dessen Beschränkung getan. Die für Mai angekündigten „Eintrittspreise“ von zunächst drei und später bis zu zehn Euro wurden zunächst auf Herbst und inzwischen ohne Termin verschoben, weil man – Überraschung! – keine Lösung für deren Einhebung fand.
Der „Besichtigungstourismus“ wird noch zunehmen: Wo neue Märkte entstehen, ist er die erste Ausprägung der gewonnenen Reisemöglichkeit. Das war im Nachkriegseuropa nicht anders, als nun in China oder Indien. Dass man damit Geld verdienen kann, ist offensichtlich. Um entsprechend reagieren zu können, wäre es hilfreich zu wissen, wie das funktioniert. In Salzburg wurden bis zum Vorjahr nicht einmal die Busse gezählt ...
Erstellt am: 06. September 2019
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