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Die Mühe mit einem Minderheitsproblem

Print-Ausgabe 31. Oktober 2019

Dass die Wiener Tourismusplanung bis 2025 nicht mehr wie bisher einfach „Tourismuskonzept“ heißt, sondern „Visitor Economy Strategie“ und mit professionell klingenden Marketing - Anglizismen gespickt ist, soll offensichtlich schon vom Auftritt her suggerieren, dass damit tatsächlich „Ein neues Zeitalter im Tourismus“ anbricht: Nicht der „Gast“ allein ist der Schwerpunkt, sondern die Lebensqualität der Stadt für alle, die sich alle „teilen“, die sich hier aufhalten. Nicht maximale Quantität in Form von Nächtigungszahlen ist das Ziel, sondern die Wertschöpfung vor Ort als Maß der Qualität. Das ist zweifellos ein richtiger Ansatz, neu ist er nicht wirklich: Das von Tourismusdirektor Norbert Kettner seit langem propagierte Motto „Liebenswert für die Gäste, lebenswert für die Bewohner, profitabel für die Unternehmer“ umschreibt in volkstümlicher Form die gleichen Ziele. Und dass es seit Jahren auch gelebt wird, ist zweifellos ein wesentlicher Grund, dass der Tourismus für Wien eine Erfolgsgeschichte ist. Verschoben wird allenfalls der Fokus auf die Bedeutung des Tourismus, womit deutlicher sichtbar gemacht werden soll, dass sie sich nicht im Umsatz von Hotellerie und Gastronomie erschöpft. Wie weit das gelingt, muss sich erst zeigen: Wien hat als einziges Bundesland (bzw. Gemeinde) den Vorteil, über die Nächtigungstaxe, die als Prozentanteil vom Nächtigungsumsatz verrechnet wird, eine relativ verlässliche Information über die Entwicklung des touristischen Kernbereiches zu haben. Das ist aber nur ein Teil der vom Tourismus generierten Umsätze. Und für die gesamte Wertschöpfung steht nur das „Satellitenkonto“ für den Tourismus zur Verfügung, eine umstrittene Berechnung, die auf Grund höchst unterschiedlicher Methoden kaum Vergleiche zulässt und in ihrer praktischen Anwendbarkeit entsprechend eingeschränkt ist.

Im Grunde geht es darum, Argumente gegen den Vorwurf des Overtourism zu finden: Der Eindruck, dass immer mehr Menschen in ihrer Lebensqualität eingeschränkt werden, nur um ein paar Unternehmern Umsätze zu sichern, wird vor allem durch die Medien verstärkt, die das Thema bereitwillig annehmen. Dass es maßlos überzogen wird, ist offenbar immer weniger Menschen bewusst. Wenn von Europa die Rede ist, werden immer die gleichen paar Städte zitiert: Barcelona, Amsterdam, Dubrovnik, Florenz, Venedig. In Österreich sind es überhaupt nur zwei, nämlich Salzburg mit der Getreidegasse und Hallstatt. Bei dem ebenfalls gelegentlich als Überlastungsfall dargestellten Dürnstein handelt es sich eher um ein Beispiel für besondere Empfindlichkeit. Selbst wenn in diesen Fällen durch einen ausufernden Tagestourismus tatsächlich unzumutbare Belastungen für die „Einheimischen“ bestehen, muss es bei einer im Verhältnis zum Gesamttourismus so geringen Anzahl ein Minderheitenproblem sein, das lösbar sein müsste - sofern die Betroffenen das wirklich wollen. Denn bei näherem Hinschauen zeigt sich fast immer, dass man zwar weniger Gedränge in den engen Straßen möchte, die zuständigen Bürgermeister aber niemand vergraulen wollen: Das Klischee, dass alle Tagesbesucher nur ihre eigenen Wurstsemmeln im Bus verzehren und vor Ort nichts ausgeben, stimmt nicht, wie es einer von ihnen drastisch formulierte.

Tatsache ist, dass die dramatisierte Berichterstattung über Einzelfälle eine negative Stimmung auslöst und verstärkt. Ein Spinner, der eine Reiseführerin einer im Weg stehenden Gruppe anrempelte und diese sich beim Hinfallen dummerweise den Arm brach, löste eine Flut von Berichten und vor allem Postings darüber aus, dass die Auswüchse des Tourismus bereits zu tätlichen Übergriffen führen.

Das Thema ist nicht neu: Schon in den Nachkriegsjahren, als die „Sahne“ das Kaffeeobers verdrängte und die Tomaten auf Speisekarten die Paradeiser ersetzten, gab es durchaus lautstarke Proteste gegen die „Überfremdung“ durch den Tourismus. Da der Tourismus der weltweit am stärksten wachsende Wirtschaftszweig ist, werden wir mit solchen Problemen leben müssen. Auch Kleinigkeiten spielen eine Rolle: Wenn in manchen Nobelläden des „Goldenen Dreiecks“ in Wien Kunden grundsätzlich auf Englisch, wenn nicht gar Russisch angesprochen werden oder die Reception in einem Luxushotel ein Telefongespräche mit der Frage „How can I help you?“ eröffnet, wird das bei manchen Inländern nicht das Gefühl besonderer Wertschätzung auslösen.

Sie an die legendäre Gastlichkeit zu erinnern, wird bei wenigen vom Tourismus Genervten viel bringen. Schon eher der Hinweis drauf, dass in einer attraktiven Stadt zu leben auch ein Privileg ist, das mit einer Verpflichtung verbunden ist. „Wenn jemand in einer wachsenden Stadt keine anderen Menschen sehen möchte, ist er vermutlich am falschen Ort,“ meinte Tourismusdirektor Norbert Kettner. Das gilt nicht nur für Wien.

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