Rottenbergs Roadbook

Fernost-Frühschicht

Print-Ausgabe 15. Juli 2016

Letzte Woche habe ich gewonnen. Weil ich früher da war, als die Asiaten. Es war eine Premiere – und hart erkämpft: Asia-ten stehen zeitig auf. Wer also vor den Asiaten da sein will, muss nicht nur früh aufstehen, sondern früher. Sehr früh.

Ich weiß: Dieser Einstieg ist missverständlich. Weil er nach Stereotyp riecht. Nach Vorurteil. Also relativiere ich: Selbstverständlich gibt es in Fernost Langschläfer. Nur treffe ich die zeitig am Morgen auf meinen Laufrunden nicht. Die anderen schon: Chinesen, die um halb sieben die Gloriette fotografieren. Koreaner, die um sechs Uhr am Salzburger Mozartsteg Sonnenstrahlen auf Festungszinnen knipsen. Japaner, die um fünf mit dem Selfiestick vor dem Goldenen Dachl in Innsbruck hantieren: Egal wie früh ich losrenne, die Asiaten sind schon da. Mit Gründen.

Denn „Europe-in-Four-Days“ ist keine Legende: Wer fünf Tage Urlaub im Jahr hat und die Welt sehen will, braucht rigides Timing: Wien? Zwei Stunden ab sechs Uhr morgens. Mittag: Hallstatt und Salzburg. Abendessen in München: Hofbräuhaus. Nachtbus nach Berlin.

Ob man da am vierten Tag noch stehen kann? Kaum. Deshalb wird jeder Kiesel fotografiert. Um dann – übers Jahr – aufzuarbeiten: „Pics – or it did not happen“.

Für mich wäre das ein Horror. Nur: Wer bin ich, das Glück anderer zu bewerten? Eben.

Neulich aber triumphierte ich. Ich war in Schönbrunn auf der zweiten Runde, als der erste Asiate kam. Und obwohl das genau gar nix bedeutet, war es toll: Ich hatte gewonnen. Zum ersten Mal. Dass das in Wirklichkeit vollkommen wurscht ist? Ja eh. Aber: Na und?

Thomas Rottenberg

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