Reisevertrieb

Forcieren von Rot-Weiß-Rot als starke Alternative zu den „Big 4“

Print-Ausgabe 16. August 2024

Harald Kraus (l.), Richard Senft (Mitte) und Michele Fanton (r.) sind gespannt, wie sich die Buchungen künftig verteilen

Die Dominanz von TUI, der DER Touristik Group, alltours und Schauinsland-Reisen steigt – eine Antwort liegt im Forcieren österreichischer Reiseveranstalter

„Es gibt Lücken.“ So umriss „off the records“ einer der Reisebüro-­Chefs die aktuelle Lage, die sich aufgrund der Insolvenz von FTI für Österreichs Vertrieb ergeben hat. Seither stellt sich für viele die Frage, in welche Richtung Umsätze gesteuert werden, damit die Dominanz der verbliebenen „Big 4“ Reiseveranstalter (TUI, Dertour, alltours und Schauinsland-Reisen), die gemessen am Umsatz rund 50 % des Marktvolumens auf sich vereinigen, nicht zu groß wird. Fakt ist jedenfalls, dass Veranstalter-Marktführer TUI (sie verfügt in Österreich auch über ein Netz von 60 Reise­büro-Filialen) aktuell als der große Gewinner gilt.

Auch die Marktstellung der großen Vertriebsketten ist enorm: Als Nr. 1 zählt die zur Verkehrsbüro Group gehörende Ruefa über 70 Standorte, gefolgt von TUI. Dahinter rangieren Kuoni/­Restplatzbörse (35 Standorte), die Reisewelt (derzeit 30), Springer (23), Gruber (21) und Columbus (14). Zusammen kommen diese sieben Vertriebsriesen auf an die 270 eigene Filialen.

Keine Daten über touristisch relevante Reisebüros

Wie groß ihr Anteil am gesamten Kuchen ist, kann ebenso wenig eruiert werden, wie jener am Retailumsatz. Der Grund: Es liegen keine Daten über touristisch relevante Reisebüros vor. Laut WKO (Wirtschaftskammer Österreich) wurden mit Stand Mai 2024 exakt 1.529 Reisebüros mit vollem Berechtigungsumfang gezählt (dazu kommen 497 mit Teilberechtigung). Von diesen knapp mehr als 2.000 aktiven Agenturen verfügen 713 laut Reisebüro Fachverband über eine „Reiseleistungsausübungsberechtigung“ (d.h. sie veranstalten Pauschalreisen und sagen verbundene Reiseleis­tungen zu).

Für alle stellt sich die Frage, wie ab sofort zwischen den bundesdeutschen „Big 4“ und den österreichischen Reiseveranstaltern gesteuert wird. Wobei der TUI-Vertrieb dazu angehalten ist, vor allem die eigenen Veranstaltermarken zu pushen (kolportiert werden rund 70 % und mehr).

„Es gibt auch Möglichkeiten im eigenen Haus“

Als Repräsentant von Österreichs größter Vertriebskette ist für Ruefa-Geschäftsführer Michele Fanton klar, „dass wir uns nach Alternativen (zu FTI) umsehen müssen.“ Wobei er betont, „dass wir auch im eigenen Haus Möglichkeiten haben, diese aufzutischen.“ Fanton meint damit den Eigenveranstalter Ruefa sowie die Eurotours. Derzeit werden von Ruefa 68 Reiseveranstalter und Kreuzfahrtreedereien mit Veranstaltertätigkeit gebucht, darunter die „Big 4“, aber auch Kneissl Touristik, Springer, Gruber, GTA, Rhomberg, um nur einige zu nennen. Die FTI-Insolvenz hat zwar einiges ausgelöst, aber Michele Fanton stellt klar: „Wir buchen seit Corona österreichische Reiseveranstalter stärker.“

„Relation der Umsätze bei uns muss passen“

Laut Harald Kraus, seit 2017 Leiter des Vertriebs & des Marketings bei Kuoni, liegen die Kompetenzen der „Big 4“ vor allem bei der von ihnen gebotenen Professionalität und der Produktvielfalt. Aber: „Die Relation der Umsätze der Reiseveranstalter bei uns muss passen.“ Die Vorzüge österreichischer Reiseveranstalter sieht Kraus allen voran in der „schnellen persönlichen Beratung. Wir arbeiten mit vielen zusammen, sie haben super nette Produkte.“ Als Beispiele nennt er die Kneissl Touristik („die hat super Produkte“), die Austrian Travel Boutique (ATB) von Mirko Lukic und die GTA Touristik von Toni Aigner. Gruber punkte durch „gute Abflüge ab Graz“, Springer ab Klagenfurt und Graz. In Vorarlberg greift Kuoni gerne auf die Produkte von Rhomberg Reisen zurück. Auch Anex Tour „will einen Teil des Kuchens haben. Wir waren die ersten, die mit denen zusammengearbeitet haben.“

Kuoni ist unter den Großen übrigens die einzige reine Vertriebskette des Landes: „Innerhalb der Pro-Gruppe (Anm.d.Red.: Neben Kuoni gehören auch Gruber, Springer, Sabtours, Christo­phorus, Herburger, Kratschmer sowie Kerschner dazu) haben alle außer uns eigene Reise­veranstalter“, berichtet Harald Kraus.

„Zunehmendes Interesse von Einzelbüros“

Und wie sehen es die österreichischen Reiseveranstalter? „Wir spüren zunehmendes Interesse, vor allem von Einzelbüros, die vermehrt anfragen“, freut sich etwa Richard Senft, Chef von enjoy reisen und amtierender Präsident der Ende 2020 entstandenen Plattform „Wir Sind Reisen“. Aus anfänglich neun Gründungsmitgliedern wurde mittlerweile ein Sample von 24 Unternehmen. Alle sind „klein- und mittelgroß strukturierte, von Eigentümern geführte Veranstalter“, so Senft. Voraussetzung sind die mindestens zehnjährige Tätigkeit im Reisegewerbe sowie „jahrzehntelange Erfahrung mit Planung, Organisation und Durchführung einer perfekten Reise mit hohen Qualitäts- und Sicherheitsstandards.“ Das Spek­trum reicht von ARR Reisen, einem der ältesten Reiseveranstalter in ganz Österreich, bis hin zum Gruppenreisespezialisten „mit viel Leidenschaft“, Voilà Reisen. Größtes Mitglied ist die Kneissl Touristik. Richard Senft: „Wir freuen uns ­­auf den Zuspruch, es ist ein legitimes Thema.“

„Der Trend geht zu kleineren Veranstaltern“

Aus der Sicht von Christian Pramberger, Chef von RES Touristik (fussballreisen.com und fanreisen.com) „geht der Trend seit Corona zu kleineren, individuellen Veranstaltern.“ Ebenfalls Mitglied der Plattform „Wir Sind Reisen“, sieht Christian Pramberger deren Vorteil vor allem in der Erreichbarkeit: „Man erreicht österreichische Reiseveranstalter leichter, auch in Krisenzeiten, wie bei Streiks oder Flugausfällen.“ Als großen USP (Unique Selling Proposition) sieht er außerdem das Eingehen auf die individuellen Wünsche der Kund:innen an: „Bei den kleinen und mittelgroßen Reiseveranstaltern erhält man ausgearbeitete Programme und nichts von der Stange.“

Ob und wie sich das Buchungsportfolio der rot-weiß-roten Vertriebslandschaft durch den Wegfall der FTI Group verändert, wird sich allerdings erst in naher Zukunft zeigen. „Es ist eine Frage, wie sich die Vertragsverhandlungen mit den Großen gestalten“, so Michele Fanton. Diese sind üblicherweise im Zeitraum September/Oktober angesetzt. In einem halben Jahr wird man also mehr wissen. T.A.I. wird dann das Thema erneut aufgreifen.

Interessant sind ergänzend dazu folgende weiterführende Berichte:
FTI Insolvenz

Das Für und Wider der FTI-Pleite. „Ein Wettbewerber weniger hilft allen“

14. Juni 2024 | Reisebüros & Veranstalter

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