Print-Ausgabe 14. Juni 2024
Der ägyptische Unternehmer Samih Sawiris ist mit einem Anteil von 75,1 % Mehrheitseigentümer der FTI
Wirklich überrascht zeigte sich kaum einer der T.A.I.-Gesprächspartner:innen von der Insolvenz der drittgrößten Veranstalter-Gruppe Europas – vom Zeitpunkt eher
„Off the record“ zeigen sich Touristiker:innen weitaus gesprächiger und so hielt es T.A.I. in den zurückliegenden Tagen auch bezüglich des Anfang Juni angemeldeten Insolvenzverfahrens der FTI Group (FTI Touristik, 5vorFlug, BigXtra, DriveFTI sowie Cars and Camper). Zwei Dinge kristallisierten sich dabei heraus: Niemand hatte mit einer Pleite vor Beginn der Sommersaison 2024 gerechnet, doch wirklich überrascht zeigte sich im Falle von FTI kaum jemand. Zu hoch war die Finanzlast, die auf FTI drückte. Ähnlich wird die Lage in der Bundesrepublik beurteilt: „Die Branche blickt entspannt auf die FTI-Pleite“, heißt es dazu in einem Bericht der deutschen „WirtschaftsWoche“.
Dem Vernehmen nach stehen bei FTI Schulden in Höhe von rund 1 Mrd. Euro (knapp 600 Mio. Euro davon in Form von Corona-Hilfen aus dem deutschen Wirtschaftsstabilisierungsfonds sowie ein Kredit über 280 Mio. Euro, für den die Bundespublik und Bayern bürgten) einem im Geschäftsjahr 2022/23 erzielten Umsatz von rund 4,1 Mrd. Euro gegenüber. Dies entspricht einer Schulden-Quote in Relation zum Umsatz von rund 25 %. Wobei „die Zahlungsfähigkeit im abgelaufenen Geschäftsjahr nur durch diverse Gesellschafterbeiträge, durch regierungsgestützte Darlehen und durch stille Einlagen sowie Kreditvereinbarungen mit Banken sichergestellt werden“ konnte, wie verlautet wurde. Die Eigenkapitalquote hatte Ende Oktober 2022 (also laut dem letzten verfügbaren Geschäftsbericht zufolge) lediglich 2,4 % erreicht.
Zum Vergleich: Die Thomas Cook Group (sie meldete im September 2019 Insolvenz an) erzielte in ihrem letzten Geschäftsjahr 2018/19 einen Umsatz von 9,6 Mrd. Britischen Pfund, wobei Branchenexpert:innen die Schulden zum Zeitpunkt der Insolvenz auf zwischen 1,7 und 2 Mrd. Pfund Sterling bezifferten (rund 21 % vom Umsatz). Ein Jahr vor der Pleite lag die Eigenkapitalquote bei nur 4 %, zum Zeitpunkt der Pleite war sie negativ. Der weltgrößte Reiseveranstalter, die TUI, kam im Gegensatz dazu im Vorjahr (2022/23) auf einen Umsatz in Höhe von 20,7 Mrd. Euro, bei einer um 1,1 Mrd. Euro auf 2,2 Mrd. Euro verbesserten Nettoverschuldung. Dies entspricht rund 10,6 % vom Umsatz.
Auch wenn die hier angestellten Rechnungen nur „Daumen mal Pi“ sind und von Finanzmanagern als ungenau dargestellt werden mögen, liefern sie doch ein ungefähres Bild der Malaise. Wie Thomas Cook galt FTI (anders als TUI, Dertour, alltours oder schauinsland-reisen) als überaus fragil. Zuletzt hatte sich eine Deckungslücke in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrages aufgetan, wobei die deutsche Bundesregierung weitere Staatshilfen ablehnte. Die nunmehrige Insolvenz war damit – auch wenn es durch den Verkauf an den Investmentfonds Certares mitsamt kräftigem Schuldenschnitt anders laufen hätte können – nur eine Frage der Zeit.
Bleibt der Zeitpunkt der Insolvenzanmeldung, der – anders als Ende der Sommersaison, wie im Falle von Thomas Cook – rund einen Monat vor Beginn der Top-Monate Juli und August erfolgte. Zur Erläuterung: Rund ein Drittel aller Urlaubsreisen in Österreich und den anderen deutschsprachigen Ländern finden im 3. Quartal jedes Jahres statt. Allgemein konnte man davon also ausgehen, dass eine Veranstalter-Pleite erst am Ende einer Saison erfolgen würde.
Die nunmehrige Anmeldung des Insolvenzverfahrens von FTI am 3. Juni kam damit scheinbar zur Unzeit. Noch im April und Mai war man davon ausgegangen, dass durch den Einstieg der Private-Equity-Firma Certares das Gröbste vorbei war. Doch die deutsche Bundesregierung war bis zuletzt zu keinem Schuldenschnitt bereit. Zwar hatte sich FTI im laufenden Geschäftsjahr erholt, aber die Corona-Kredite lasteten weiterhin schwer auf dem Unternehmen. Die Verhandlungen der FTI-Geschäftsführung am ersten Juni-Wochenende mit Vertreter:innen des deutschen Finanz- und Wirtschaftsministeriums scheiterten.
Damit ist vor allem der Ägypter Samih Sawiris in der Bredouille. Er ist über seine private in Luxemburg beheimatete Beteiligungsgesellschaft SOSTNT (Samih Onsi Sawiris Net Holding) mit einem Anteil von 75,1 % seit 2019 Mehrheitseigentümer von FTI. Davor hielt er seit 2014 eine Beteiligung von 33 %. Sawiris hat die FTI-Beteiligung aber ebenso wie die an sie gewährten Darlehen laut SOSTNT-Geschäftsbericht komplett abgeschrieben, was sich laut Insidern auf rund 260 Mio. Euro summierte. Samih Sawiris gehören übrigens indirekt auch 100 % am Reiseshoppingsender Sonnenklar.TV, der bislang nicht von der FTI-Pleite betroffen ist.
Wie geht es nun weiter? Auch hier sind „Off the record“-Gespräche am zielführendsten. Allgemein wird nicht damit gerechnet, dass die FTI-Insolvenz größere Auswirkungen auf den Ruf der Branche hat, auch in Österreich (hier kam die FTI Group im Geschäftsjahr 2018 auf einen Umsatz von 215 Mio. Euro). Teilweise wird sogar von einem positiven Effekt für die Pauschalreise ausgegangen, da Kund:innen in diesem Fall optimal abgesichert sind und ihre Reisekosten in voller Höhe zurückfordern können (anders als jene, die nur Einzelleistungen, wie Hotel oder Mietwagen gebucht haben: sie müssen ihre Forderungen im Insolvenzverfahren anmelden und werden lediglich einen kleinen Teil der entstandenen Kosten rückerstattet bekommen).
Branchenleader TUI, die zum Handelskonzern REWE gehörende Dertour Touristik sowie die Mittelständler alltours und schauinsland-reisen geben sich gelassen. „Unter dem Strich ist es für die Branche fast eine gute Nachricht“, meint ein Manager, „ein Wettbewerber weniger hilft allen.“ Wobei – wie im Falle von Thomas Cook – davon ausgegangen werden muss, dass die Gästezahlen der FTI Group nicht 1:1 bei den Mitbewerbern landen. Der Grund liegt vor allem darin, dass FTI überaus knapp kalkuliert hat. „Ich habe mich in Destinationen, wo wir Markführer sind, oft gefragt, wie die das dort machen“, so ein Top-Manager gegenüber T.A.I. Die Chance für die verbleibenden Markteilnehmer ist aber groß, jetzt neue Kund:innen für sich zu gewinnen.
Bleiben die rund 70 in der Insolvenz betroffenen Mitarbeiter:innen am Standort der FTI in Linz. Sie waren von der Insolvenz ebenso überrascht wie der Rest der Branche (auch wenn manch einer durch das Scheitern der Gespräche an besagtem Wochenende bereits das Schlimmste befürchtete). Die Mitarbeiter:innen sind durch den Insolvenz-Entgelt-Fonds (IEF) gut abgesichert. Dies betrifft laufende Entgelte (Löhne, Gehälter, Überstundenzahlungen etc.) ebenso, wie Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld), die allfällige Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung sowie die Abfertigung „alt“. Bleibt als bittere Pille am Ende die Feststellung, dass mit der FTI Touristik ein großer (nach eigenen Angaben die Nummer 3 in Europa) und überaus innovativer Reiseveranstalter von der Bildfläche verschwindet.
Erstellt am: 14. Juni 2024
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