Standpunkt

Verkehrtes Tourismusland

Print-Ausgabe 13. September 2024

Er spürt sie, bei ihr ist es vom Gefühl her etwas anders, aber alle wundern sich. Die Rede ist von der Inflation. Die hat gegenüber 2019 rund 25 % vom damaligen Geldwert weggeknabbert. Was soviel bedeutet, dass 100 Euro von einst heute nur noch einen Gegenwert von 75 Euro haben. Grob gesagt. Denn individuell wirkt die Geldentwertung überaus unterschiedlich. Auch branchenweise. In Teilen der Industrie stellt sich die Teuerung anders dar, als etwa bei privaten Haushalten oder im Tourismus.

Gemessen wird die Inflation in Österreich mittels VPI, also dem Verbraucherpreis-Index. Der heißt auch in Deutschland so. Die Eidgenossen nennen ihn LIK (Landesindex der Konsumentenpreise), in Frankreich heißt er L‘indice des prix à la consommation (IPC). International hat sich Consumer Price Index (CPI) durchgesetzt.

Ihm liegt überall ein „Warenkorb“ zugrunde, der in zwölf große Kategorien unterteilt wird, die in allen Ländern der Welt gleich sind. Doch damit hören sich die Gemeinsamkeiten bereits auf. Denn was darin als „Sammlung spezifischer Produkte und Dienstleistungen“ enthalten ist, basiert auf der Lebensweise sowie den Konsumgewohnheiten der Menschen des jeweiligen Landes.

Sidestep: Um die Inflation in Europa übernational darstellen zu können, greift die EU (sie besteht aktuell aus 27 Mitgliedsstaaten) seit bald drei Jahrzehnten auf den HICP (Harmonised Index of Consumer Prices) zurück.

So weit so gut und den Statistiker:innen sei’s gedankt. Nur stellt sich die Frage, weshalb die Abweichungen gerade zwischen Österreich und Deutschland so gravierend sind? Ok, Deutschland ist rund 4-mal so groß, hat mehr als 9-mal so viele Einwohner:innen und anders als Österreich neue Bundesländer mit zum Teil komplett anderen Lebensgewohnheiten. Aber: Wieso bemisst der bundesdeutsche Warenkorb die dortigen Ausgaben für Lebensmittel und alkoholfreie Getränke mit 9,7 % deutlich niedriger, als der österreichische mit ­
11,4 %? In der Schweiz sind es 10,9 %.

Ein weiteres „aber“, denen noch einige hinzugefügt werden könnten, bezieht sich auf die Ausgaben für Restaurants und Hotels: In Deutschland belaufen sie sich auf 4,7 % des Warenkorbes, in der Schweiz auf 10 %, aber hierzulande sind es 13,0 %. Das entspricht nahezu dem dreifachen Wert der Bundesrepublik bzw. ist fast ein Drittel mehr als in der Schweiz!

Ah ja. Österreich gilt als Tourismusland. So gesehen ist diese überproportionale Gewichtung der Restaurants und Hotels verständlich. Doch eines macht stutzig: Beim VPI, LIK oder wie immer er auch genannt wird, geht es um Lebensweisen sowie Konsumgewohnheiten der Inländer:innen. Jene der Ausländer spielen demnach keine Rolle.

Woher kommt dann diese Übergewichtung der Ausgaben für Restaurants und Hotels in Österreich? Wo doch der Inlandsanteil an den Nächtigungen (und damit grob gesagt auch an den Restaurantbesuchen) hierzulande bei nur 26 % liegt? In der Schweiz bewegt sich der Inländeranteil bei 50 %, in Deutschland sind es 83 %!

Möglich, dass diese Überlegungen unter einem gewaltigen Trugschluss leiden. Verifizieren konnte dies bislang aber noch niemand. Zweckdienliche Hinweise sind deshalb erwünscht. Oder aber Österreich, – das seit März 2011 fast durchgehend eine höhere Inflation aufweist, als der EU-Raum (was hierzulande niemanden zu stören scheint) –, wagt sich an eine deutliche Anpassung der Zusammensetzung des VPI-Warenkorbes. Der wird hierzulande seit 2010 jährlich aktualisiert (dem steht allerdings eine nur alle fünf Jahre durchgeführte Konsumerhebung entgegen), erlaubt sich anzuregen der

Lupo

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