Print-Ausgabe 16. August 2024
Am Ende waren es leider nicht mehr als Lippenbekenntnisse. Jene Beschwörungen, die im Zuge der Pandemie über eine neue Tourismusqualität geäußert wurden. Sie sind Schnee von vorgestern. Wie war das noch? „Das bisherige Paradigma des ewigen Wachstums ist in dieser Form nicht zukunftsfähig“, hieß es im Frühjahr 2021. Corona sei eine Chance, neue Modelle und Angebote zu entwickeln. Zwei Jahre davor war das Unwort „Overtourismus“ noch in aller Munde.
Jetzt, 2024, erfreut es sich fröhlicher Urständ. Wasserspritzen in Barcelona, Gezänk um freie Liegeplätze an überlaufenen Stränden rund ums Mittelmeer, Beschränkungen für große Busse in Amsterdam, Maßnahmen von Dubrovnik & Co, um des Gästeansturms besser Herr zu werden – Beispiele gibt zu Hauf.
Fest steht: Eine Vielzahl an Ländern und Städten hat erkannt, dass Tourismus ein wesentlicher wirtschaftlicher Motor sein kann. Investitionen in touristische Infrastruktur und Marketingkampagnen zur Anziehung von Besucher:innen sind gang und gäbe. Weltweit fördern Regierungen den Tourismus, um Arbeitsplätze zu schaffen und die Wirtschaft anzukurbeln. Mit dem Manko, dass die langfristigen Folgen für die lokale Bevölkerung und die Umwelt beiseitegeschoben werden.
All das geht soweit, dass jetzt sogar ein Schweizerischer Nationalrat für Luzern, einst Pionierin des Tourismus, den 1987 patentierten Rollkoffer verbieten möchte. Dessen Erfindung bedeutete laut „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) „für den Tourismus das, was das Förderband für die Industrialisierung war.“ Doch der Rollenkoffer sei mittlerweile „zum Symbol für die Wut auf den Massentourismus geworden.“ Um als NZZ gleich darauf die selbstkritische Frage zu stellen: „Wollen wir kein Ferienland mehr sein?“
Letztendlich geht es also darum, ob man ein Ferienland sein will oder nicht. Laut UNWTO (United Nations World Tourism Organization) gab es 2019 weltweit rund 20 Milliarden Reisen (inklusive Inlands- und Tagestrips). Bis 2030 soll dieser Wert auf 37 Milliarden klettern. Fast eine Verdopplung innerhalb eines Jahrzehnts. Wer dem keinen Glauben schenkt, braucht nur einen Blick auf die Wohlstandskurve werfen. Letztere steigt. Weltweit. Die ist keine Annahme, sondern überaus erfreuliche Tatsache.
Was also tun? Patentrezepte liegen keine vor. Letztendlich geht es aber um eins: Um die Balance zwischen Gästen und Bevölkerung, also um „Balanced Tourism“. Einzelne Regionen und zum Teil auch Bundesländer Österreichs gelten diesbezüglich als Vorreiter. Es geht nur gemeinsam, also inklusive Einbindung der Bevölkerung. Alles andere – sprich: ein D’rüberfahren über deren Anliegen – funktioniert nicht mehr. Der eskalierende Streit zwischen „Gams“ und „Kamel“ bzw. „Kleiderbügel“, wie er derzeit Kitzbühel rund um das vor kurzem von oben herab eingeführte neue Tourismuslogo bewegt, zeigt, dass Entscheidungsfindung im stillen Kämmerlein ausgedient hat. Je eher das landauf, landab begriffen wird, desto besser.
Es geht nicht um Lippenbekenntnisse aus vergangenen Zeiten. Es geht um unser aller Zukunft, um „Balanced Tourism“, meint
Lupo
Erstellt am: 16. August 2024
Bitte die Netiquette einhalten. * Pflichtfelder