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Standpunkt

Offenbarungseid der Populisten

Print-Ausgabe 1. Juli 2016

Manchmal schreibt das Leben originelle Geschichten: Vier Tage nach dem Votum der Briten gegen den Verbleib in der EU besiegelte das kleine Island – bekanntlich kein Mitglied der Union – den vorzeitigen Abschied der Engländer aus der Fußball-EM. Das Viertelfinale gegen Frankreich, – angesichts des „Brexit“ wäre es von emotionaler Brisanz gewesen –, bestreiten somit die Isländer. Die Briten dürfen es, wie künftig vieles andere auch, nur noch als unbeteiligte Zuseher mitverfolgen.

Stichwort mitverfolgen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wie sich selbst die „Brexit-Befürworter“ auf der Insel von ihrem „Sieg“ überrascht zeigten. Der Schock sitzt auch bei ihnen tief, die zu erwartenden Einschnitte für ihr Land werden weitreichend und schmerzhaft sein.

Über die weitere Entwicklung können vorerst nur Spekulationen angestellt werden. Es gibt aber auch einige konkrete Tatsachen. Dazu gehört die drohende Zerschlagung des sechstgrößten Airline-Konzerns der Welt, der IAG. Sie kann in ihrer derzeitigen Form nur existieren, solange alle Holding-Töchter in EU-Mitgliedsländern beheimatet sind. Bei British Airways, dem dominierenden Faktor der IAG, ist dies künftig nicht mehr der Fall.

Eine weitere Tatsache ist die massive Zunahme des Gewichtes von Deutschland innerhalb der Union. Bislang stellte sie knapp ein Fünftel des EU-BIP. Ohne Briten ist es künftig nahezu ein Viertel.

Neben Spekulationen und Tatsachen bestehen auch Hoffnungen. Eine liegt darin, dass der „Brexit“ zum vielzitierten Weckruf für die verbleibenden EU-27 wird und sie die Regeln ihres Zusammenspiels tiefgreifend ändern – weg vom Bürger-fernen, arroganten und selbstherrlichen Moloch in der Bürokraten-Hochburg Brüssel, hin zum konstruktiven Miteinander, das auf demokratischen Prinzipien aufbaut. Derzeit ist die Gemeinschaft Lichtjahre davon entfernt.

Eine zweite große Hoffnung besteht darin, dass der Ausgang des Briten-Votums in seinem Kern als das entlarvt wird, was er ist: das Ergebnis jener Verlogenheit, auf der die Populisten unseres Kontinents bauen. Sie spielen mit Ängsten und Befürchtungen jener Teile der Bevölkerung, die sich auf der Verliererstraße wähnen. Lösungen bieten ihnen die Populisten keine an und das, was sie großmäulig versprechen, zerplatzt am Prüfstand der Realität wie Seifenblasen. Selten wurde dies so offenbar, wie nach dem Ja zum Brexit.

Womit wir bei den eigentlichen Lehren des Referendums sind: In richtungsweisenden Urnengängen über langfristige, existenzielle Entscheidungen sein Votum zur billigen Protestnote zu degradieren, wird am Ende zum gefährlichen Spiel mit dem Feuer. Die Briten haben sich daran massiv verbrannt. Und das zählt mit Sicherheit nicht zu den originellen Geschichten des Lebens, bedauert zutiefst ihren Abschied aus dem trotz aller augenscheinlichen Mängel ebenso einzig- wie großartigen Projekt Europa der

Lupo

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