Standpunkt

KI und Fruchtfliege

Print-Ausgabe 18. Oktober 2024

Sie ist in aller Munde und beschäftigt zahlreiche Diskussionen im Tourismus: KI (Künstliche Intelligenz) oder AI (Artificial intelligence), wie sie im Englischen genannt wird. Bei einem weckt sie Befürchtungen, wie seinerzeit die Angst vor Maschinen, die der britische Komiker, Schauspieler und Regisseur Sir Charles „Charlie“ Chaplin in den 1930er-Jahren im US-amerikanischen Spielfilm „Modern Times“ so grandios dargestellt hat. Andere wiederum sind ob der möglichen Errungenschaften, wie sie KI uns allen bringen kann, euphorisch.

Mitten in diesem Szenario sorgt eine Schlagzeile für Furore: Die erstmals erfolgte Darstellung bzw. Kartierung des Gehirns einer Fruchtfliege. Nur so nebenbei: Auch das war nur mithilfe von KI möglich, denn es galt Millionen von Bildern eines weiblichen Fruchtfliegengehirns auszuwerten.

Worauf aber in diesem Zusammenhang besonders hingewiesen werden soll, ist die Tatsache, dass das Gehirn einer Fruchtfliege mit 140.000 Neuronen und etwa 50 Millionen Synapsen – also den Verbindungen zwischen je zwei Nervenzellen – nur einen klitzekleinen Bruchteil des menschlichen Cerebrums (wie das Denkorgan fachlich korrekt auf Lateinisch genannt wird) ausmacht. Um dessen Neuronen-Anzahl auf der Zunge zergehen zu lassen: Es kommt auf mehr als 100 Milliarden (und nicht Millionen) Nervenzellen.

In anderen Worten: Das jetzt kartografierte Gehirn einer Fruchtfliege bringt es von der Anzahl der Nervenzellen her gerade mal auf 0,00014% des menschlichen Cerebrums. Wobei rund 60 % des Erbguts der Fruchtfliege mit jenem des Menschen übereinstimmen, sie zu höheren kognitiven Leistungen in der Lage ist, soziale Beziehungen hat, ein Langzeitgedächtnis und über weite Strecken navigieren kann.

Der tägliche Energieverbrauch einer Fruchtfliege (eine der bestuntersuchtesten Organismen der Welt, ihre Lebenserwartung liegt allerdings nur zwischen 40 bis 50 Tagen) ist hingegen minimal. Während sie sich von überreifem Obst und Gemüse ernährt, benötigt eine KI-Abfrage zwischen 0,1 bis 1 Kilowattstunden (kWh). Das summiert sich. Alleine ChatGPT erhält mehr als 10 Millionen Anfragen pro Tag (andere Quellen sprechen von täglich 195 Millionen Anfragen), was im günstigsten Fall um die 1.000 Tonnen CO2-Emissionen bedeutet. Bei KI-Trainings ist der Energieverbrauch und sind die CO2-Emissionen ungleich höher (Schätzungen zufolge kann das Training eines großen KI-Modells zu einem Ausstoß von etwa 300 Tonnen CO2 führen). Noch etwas: Der Energieverbrauch der weltweiten Rechenzentren verursacht aktuell 2,5 bis 3,7 % der globalen Treibhausgasemissionen, gleich viel bzw. mehr als der gesamte zivile Flugverkehr.


Der Spielfilm „Modern Times“ jährt sich bald zum 100sten Mal. Wir könnten seinen Nachfolger „AI-Times“ nennen. Denn Unterschiede macht es kaum. Mit Ausnahme des enormen Energieverbrauches (auch der sollte in den Griff zu bekommen sein) brauchen wir uns keine wie auch immer gearteten Angstszenarien vor KI oder AI auszumalen. Sie wird die (Arbeits-)Welt ebenso verändern, wie unser privates Dasein. Und den Tourismus. Aber als Hilfestellung und nicht als Ersatz für den Menschen samt seinem Gehirn, erlaubt sich aus gegebenem Fruchtfliegen-Anlass den Hinweis der

Lupo

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