ANA
Rottenbergs Roadbook

Schneeblind

Print-Ausgabe 13. Jänner 2017

Der Mann hatte sich einfach dazu gesetzt. Wo auf wenig Raum Gleichgesinnte zusammenkommen, ist das normal: Wir saßen auf einer Hütte. Die erste Skitour der Saison. Lachen in allen Gesichtern.

Auch der Neuankömmling mit dem Bergführerabzeichen strahlte. Doch seine Botschaft war das Gegenteil von dem, was alle fühlten: „Man sollte aufhören, wenn es am schönsten ist.“

Der Mann predigte. Vom Klimawandel sprach er. Von sterbenden Gletschern. Von steigenden Schneefallgrenzen. Von kürzeren Wintern.

Und von Gier. Von Maßlosigkeit. Vom Nie-genug-Haben. Vom Glauben an die Unendlichkeit von Wachstum. Er sprach vom Urassen. Vom Preis modernen Pistenmanagments. Von zur Schneegewinnung benötigten Energie- und Wassermengen. Von den irren Kosten eines Familienskiurlaubs – und von Schluss-mit-lustig: „Es wird sich irgendwann nimmer ausgehen. Das werden wir alle erleben – und es wird nicht schön.“

Niemand widersprach. Wie auch? Alle wussten, dass er recht hatte. Der Mann zeigte aus dem Fenster: Knallblauer Himmel. Tiefverschneite Hänge. Ein Herzausreisserpanorama. „Ein Traum in Weiß. Passt also eh alles.“

Der Bergführer ging zur Tür. „Ja“, wiederholte er, „man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Aber: Wer kann das? Ihr? Ich nicht. Also tun wir, als wäre da nichts. Und machen weiter: Wir lieben es. Aufhören? Keine Option. Nicht trotz, sondern wegen allem.“

Weg war er.

Thomas Rottenberg

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