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Wie der Doggy Bag zur Tafel Box wurde

Print-Ausgabe 8. April 2016

Entstanden ist der Doggy Bag angeblich in der wirtschaftlichen Krisenzeit in den USA: Reste von Mahlzeiten ließen sich manche Gäste in Lokalen „für den Hund“ einpacken. Man kann davon ausgehen, dass in vielen Fällen das Geld nicht nur für das Hundefutter knapp war und die transportgeschädigten Leckerbissen auf den Tellern hungriger Menschen landeten. In den USA hat sich dieser Brauch sogar verstärkt. In Europa verhinderte eine hohe Genierschwelle, dass die Mitnahme von Mahlzeitresten über das „gibt es natürlich auch“-Niveau hinauskam. Erst seit Armutsverdacht auslösende Sparsamkeit nicht mehr die einzige Begründung für das Einpacken lassen von halben Schnitzeln ist, bahnt sich eine Änderung an: Damit die ausufernde Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, ist ein durchaus honoriges Argument. In diesem Sinne ist eine Initiative der gastgewerblichen Fachverbände mit dem Verband der österreichischen Tafeln zu verstehen, die der Öffentlichkeit kürzlich die „Tafel Box“ präsentierten: Eine elegantere Variante des Doggy Bag in Form eines verschließbaren Klarsichtbehälters aus biologisch abbaubarem Kunststoff. Sie wird vom Lebensmittel-Großhändler Kastner, der sie auch entwickelte, an die Gastronomie geliefert.

Box schon drei Mal präsentiert

Neu ist diese Box nicht: Sie wurde erstmalig bereits Anfang 2014 als „Pilotprojekt“ vorgestellt und gleich mit einem Preis für Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Im Oktober wurde sie erneut präsentiert, diesmal „österreichweit“, denn inzwischen waren zum Verein Wiener Tafel gleichartige Organisationen in anderen Bundesländern gekommen, die nun als Verband auftreten. Sie haben die Aufgabe übernommen, Lebensmittel aus allen möglichen Quellen zu sammeln und an mehr als 100 soziale Einrichtungen zu verteilen. Mit der Gastronomie tut man sich bisher schwer, da die lebensmittelrechtliche Situation problemlos nur verpackte Ware zulässt. Für die kostenlose „Überlassung“ von Lebensmitteln an soziale Einrichtungen gibt es eine Regelung, die eine umfangreiche Broschüre des Lebensministeriums füllt. Daher wurde für die Gastronomie auch der Umweg über die Beteiligung am Verkauf der Box gewählt.

Man hofft, dass durch die Beteiligung der gastgewerblichen Fachverbände die Aktion nun besser ins Laufen kommt. Der Fachverband Gastronomie hat 700 „Starterpakete“ kostenlos an Betriebe versandt. Sie enthalten je 50 Boxen und Infomaterial für die Gäste. Deren Reaktion wird sicher weitgehend von der Art der Betriebe abhängen, in Haubenlokalen wird die Box kaum zum Renner werden.

Die Fachverbände wollen mit ihrer Teilnahme vor allem einen Beitrag dazu leisten, bei den Gästen das Bewusstsein für das Problem der Lebensmittelverschwendung zu verstärken. In der Kette seiner Verursacher gehört die Gastronomie nicht zur Spitzengruppe: Mario Pulker, Obmann des Fachverbandes Gastronomie, zitierte eine EU-Studie, nach der 44 Prozent der weggeworfenen Lebensmittel auf Produktion und Handel entfallen, 42 Prozent auf die Haushalte und nur 14 Prozent auf die Gastronomie. Nötig wäre vor allem mehr Flexibilität vom Gesetzgeber. Tatsächlich führen rein auf die Optik ausgerichtete Qualitätsstandards bei Obst und Gemüse dazu, dass Vieles schon nach der Ernte vernichtet wird und unrealistische Haltbarkeitsangaben lassen verwendungsfähige Lebensmittel im Müll landen. Die manchmal geradezu hysterische Forderung nach „Frische“ tut ein Übriges.

Und wer haftet?

In Deutschland, wo das Landwirtschaftsministerium 15.000 „Beste Reste Boxen“ zum Start einer ähnlichen Aktion an die Gastronomie verteilt, hat man ein rechtliches Problem geortet: Wer haftet, wenn einem Gast vom mitgenommenen Fischfilet schlecht wird? Das Landwirtschaftsministerium hält das für unbedenklich, weil das Essen bereits Eigentum des Gastes war. Kleine Zusatzbemerkung: Das Risiko geht auf die Gäste über, wenn sie danach fragen, ob sie die Reste mitnehmen können. Der Fachverband Gastronomie ist ebenfalls der Meinung, dass die Ware bereits „in Verkehr gebracht“ und damit aus der Verantwortung des Gastwirtes genommen wurde. In einigen Aussendungen zum Thema findet sich allerdings der Hinweis, dass die Speisen „selbst eingepackt und eigenverantwortlich mitgenommen“ werden. Ob dieser Versuch, sich aus der Verantwortung zu drücken, im Ernstfall hält, muss hoffentlich nie geklärt werden: Die Gewährleistungspflicht für eine Ware endet nämlich nicht mit ihrem Verkauf.

Günther Greul

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