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So einfach kann man das Klima retten

Print-Ausgabe 31. Jänner 2020

Großer Bahnhof in Wien: Mit Musikbegleitung setzt sich ein Zug mit rund 400 Vertretern der österreichischen und der EU Politik in Bewegung. Besonderer Anlass: Der Start der „Nightjet“-Verbindung der ÖBB zwischen Wien und Brüssel. Die Reden beim Start und der Ankunft waren voll des Lobes darüber, dass die Österreichischen Bundesbahnen bei der Wiederbelebung des in Europa weitgehend verloren gegangenen grenzüberschreitenden Nachtzugsverkehrs vorangegangen sind und damit andere Bahngesellschaften anregen, diesem Beispiel zu folgen. Nachtzüge seien die beste Alternative zum Flugverkehr, im Fall Brüssel betrage die CO2-Emission pro Passagier und Strecke nur 40 kg, gegenüber 410 kg mit dem Flugzeug.

Vor drei Jahren wurde das komplette Nachtzugsgeschäft der Deutschen Bahn samt Wagenpark von den ÖBB übernommen, die mit dem Serviceaufwand offenbar besser zurecht kommen: Die Ergebnisse sind positiv, der weitere Ausbau des Nightjet daher folgerichtig. Der für diesen kleinen Schritt eher ungewöhnlich große PR-Aufwand auch: Der Nachtzug nach Brüssel ist nicht der erste Nightjet, es gibt schon ein paar andere, wie etwa nach Venedig. Aber es ist das erste Mal, dass versucht wurde, eine konkrete Maßnahme für den Klimaschutz darzustellen. Jede Diskussion, wie der emissionsbelastete Auto- und Flugverkehr auf öffentliche Verkehrsmittel umgesteuert werden könnte, endet mangels Alternativen bei der Bahn – immer vor der Beantwortung der Frage, wie sie das bewältigen soll.

Der Nightjet bringt auch keine Antwort. Jeden Montag und Donnerstag bringt er jeweils maximal 400 Passagiere von Wien nach Brüssel und an den Folgetagen wieder zurück. Er braucht für die knapp 1.000 km über 14 (!) Stunden, das entspricht einer Geschwindigkeit von etwa 70 km/h. In einer Zeit, in der für die Bahn 200 km/h längst üblich sind, kann dieses Retro-Angebot wenig Begeisterung auslösen. Die Antwort auf die Frage, warum das nicht öfter und schneller geht, ist ernüchternd: Es gibt zu wenig Wagen, die Strecken sind überlastet, in der Nacht nicht zuletzt von den Güterzügen, auf die der Nightjet immer wieder warten muss, und die Technik ist überaltert – an der Grenze müssen die Lokomotiven gewechselt werden. Bei den ÖBB ist man sich dieser Schwäche bewusst und zuversichtlich, die Fahrzeit reduzieren zu können – um eine Stunde. Den Eindruck erwecken zu wollen, dass mit einer so aufgestellten Bahn wirkungsvolle Klimarettung betrieben werden könnte, untergräbt die Glaubwürdigkeit. So einfach ist das nicht.

Die Bereitschaft der breiten Öffentlichkeit, bei Klimaschutzmaßnahmen mit ihrem persönlichns Verhalten mit zu ziehen, ist ohnedies enden wollend. Das Ergebnis des traditionellen „Reisekompass“ von Ruefa, für den 1.500 ÖsterreicherInnen nach ihren Reisegewohnheiten, aber auch zur ihrer Einstellung zum Klimaschutz befragt wurden, fasste Ruefa-Geschäftsführerin Helga Freund so zusammen: Die aktuelle Klimaschutz – Debatte hat keinen spürbaren Einfluss auf die Urlaubswahl. Den Österreichern ist das Reisen so wichtig, dass sie kaum zu Kompromissen bereit sind. Im Alltag behaupten 60 Prozent, Wert auf Nachhaltigkeit zu legen, im Urlaub sind es nur 45 Prozent, bei der Wahl der letzten Urlaubsdestination spielte sie aber tatsächlich nur für 14 Prozent eine Rolle. Gleichlautendes hört man von TUI Österreich-Chef Gottfried Math. Als „Klimakiller“ angeprangerte Urlaubsformen wie Fernreisen, Städteflüge oder Kreuzfahrten erleben geradezu einen Boom. Nur ein Drittel sieht im Reiseverkehr überhaupt ein zentrales Problem für den Klimaschutz.

Das Problem liegt vor allem darin, dass Wissenschaft und Politik – auch international – zwar überein gekommen sind, die CO2-Emissionen als Klimafeind Nr. 1 fest zu nageln, dass aber absolut keine Übereinstimmung darin besteht, mit welchen Methoden sie bekämpft werden sollen. CO2-Steuer, Pendlerpauschale, e-Mobilität – inzwischen fast schon überstrapazierte Schlagworte, zu denen aber die Meinungen diametral auseinander gehen. Dass sich die Politik zunehmend dem Vorwurf der Untätigkeit aussetzt, ist fast erleichternd: In dieser Situation das Falsche zu tun, kann katastrophale Folgen haben.

Inzwischen mehren sich die Stimmen, die genau davor warnen: Dass mit „Klimahysterie“ die Wirtschaft „an die Wand gefahren“ wird. Eine elegante Formulierung fand Bundeskanzler Sebastian Kurz beim Weltwirtschaftsforum in Davos: Das Klima könne nicht gerettet werden, indem die europäische Wirtschaft und Industrie bekämpft und zerstört werden. Auch den Schlüssel für gleichzeitiges Wirtschaftswachstum und Klimaschutz hat er parat: Innovation. Mit anderen Worten: Es wird uns schon rechtzeitig was einfallen. Klingt österreichisch. Nach Problemlösung allerdings weniger.

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