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Nicht alles muss gratis sein

Print-Ausgabe 16. Jänner 2020

Die Familie ist gerade eingetroffen und hat am großen Swimmingpool im Schatten von zwei Schirmen einen angenehmen Platz für eine Badewoche ergattert. Mutter meldet der Oma per Skype die glückliche Ankunft und schildert ausführlich den Flug: Ja, recht mühsam, die Sicherheitskontrolle. Eine kleine Nagelschere wurde konfisziert – als ob man damit den Piloten umbringen könnte. Fast eine Stunde auf’s Gepäck gewartet, Griff vom Trolley abgerissen – nein, nicht vom neuen, das zahlt hoffentlich die Versicherung. Und wie ist das Essen? Nach einem Tag kann man noch nicht viel sagen, aber ein wenig merkwürdig ... Das Gespräch mündet in einer ausführlichen Darstellung der Besonderheiten der asiatischen  Küche. Inzwischen hat der Vater einen Rundgang angetreten, er trägt das Handy in Augenhöhe vor sich her und schildert halblaut, was er sieht: Wie ein Garten, gepflegter Rasen. Wo ist ein Clo? Aha – hier. Eine Restaurantterrasse, viele Gäste – ja, auch viele Russen. Die Live-Reportage ist für den Freund sicher eine wertvolle Entscheidungshilfe für den nächsten Urlaub. Bei seiner Rückkehr beendet die Mutter gerade mit einem „Ich melde mich wieder“ ihren kulinarischen Diskurs. Die beiden Kids haben ihrer Umgebung noch keine Aufmerksamkeit geschenkt: Das Mädchen ist mit seinem Smartphone auf Instagram in das Geschnatter einer überdrehten „Influenzerin“ über ihre geilen Schuhe versunken, der Herr Sohn genießt auf seinem Tablet die aktuelle Folge einer Netflix-Serie. Die gut halbstündige familiäre Bildschirmidylle endet mit einem kollektiven Aufschrei: Das WLAN ist abgestürzt. Was ist das für ein Sch… - Hotel?

Das Sch… Hotel ist das einzige Glied in der digitalen Leistungskette, das nicht an ihr verdient: Internationale, kaum mehr kon­trollierbare Konzerne von Google und Facebook abwärts stellen die Inhalte bereit und lassen sich das über Werbung und alle möglichen Bezahlsysteme finanzieren. Telekomunternehmen wie Vodafone oder A1 bauen die Übertragungsnetzwerke auf und kassieren dafür Gebühren von den Kunden, und lokale Provider sorgen dafür, dass die Kunden auch in dieses Netz kommen. Das sind nicht nur, aber auch die Hotels, denen man erfolgreich eingeredet hat, dass sie diese Dienstleistung, natürlich kostenlos, ihren Kunden – also den Gästen – bieten müssen, wenn sie nicht wollen, dass sie in Hotels abwandern, die nicht mehr im „digitalen Mittelalter“ stecken. Inzwischen stimmt das sogar: Bei den Gästebeschwerden steht der Internetzugang an erster Stelle, fast die Hälfte der Gäste ist mit der Übertragungsqualität unzufrieden.

Die eingangs beschriebene Szene ist echt und in ähnlicher Form keine Seltenheit. Ein großes Resorthotel in Thailand mit über 1.200 Gästebetten hat sich immer um eine gute Internetversorgung seiner Gäste bemüht. Der letzte Ausbau vor einem Jahr sorgte dafür, dass das WLAN nicht nur alle Zimmer, sondern auch das gesamte Freigelände abdeckt. Mit ein paar Routern um 50 Euro geht das nicht, da muss man schon ordentlich in die Tasche greifen und einen kompetenten (entsprechend teuren) Berater engagieren. Trotzdem gibt es Klagen: Die Leistungsfähigkeit der WLAN-Netze sinkt bekanntlich mit der Zahl der darin befindlichen Teilnehmer. Pro Zimmer können fünf (!!!) Geräte angemeldet werden, insgesamt also runde 3.000. Wenn – was zu bestimmten Zeiten vorkommt – fast alle gleichzeitig im Netz sind, bringt das auch großzügige Anlagen an ihre Grenzen.

Was bisher kaum thematisiert wird, ist der Energieverbrauch des Internets und die damit verbundenen CO2-Emissionen. Eine aktuelle französische Studie kommt zum Ergebnis, dass alleine der ICT-Bereich (Information & Communication Technology) 3,7 Prozent des weltweiten Ausstoßes an Treibhausgasen verursacht, fast das Doppelte des zivilen Flugverkehrs. Wenn das Wachstum linear weitergeht, sollen 2025 bereits acht Prozent aller CO2- Emissionen auf diesen Bereich entfallen. Getrieben wird dieses Wachstum vor allem von den immer populärer werdenden „Streaming-Plattformen“ wie Netflix, Amazon Prime oder Spotify, die Filme, Videos und Musik in einem für die Kunden angenehmen und kostengünstigen Format anbieten, aber mit einem enormen Daten- und Energieaufwand. 80 Prozent des Datenzuwachses entfallen auf diese Angebote. Die Internet- und Datenwirtschaft bewegt sich nach dem Motto „Wir sind der Fortschritt“ in einem Tabubereich. Hier geht es aber fast ausschließlich um Entertainment und bevor man die halbe Wirtschaft dem Klimaschutz opfert, wäre es sinnvoll, die Spaßgesellschaft zur Kasse zu bitten. Gratis muss da gar nichts sein.

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