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„Branchenbashing“ löst keine Probleme

Print-Ausgabe 13. Dezember 2019

„Wenn das zutreffend wäre, wofür wir immer wieder auf’s Neue angeschwärzt werden, könnten wir nicht so erfolgreich sein und die Tourismuswirtschaft als Jobmotor mit einem jährlichen Zuwachs von mehr als zwei Prozent der Beschäftigten brummen lassen. Wir sind uns selbstverständlich der enormen Bedeutung unserer Mitarbeiter für diesen Erfolg bewusst, arbeiten laufend an Verbesserungen und haben bereits viel weitergebracht. Statt des ständigen Unternehmer- und Branchenbashings können wir uns dafür eine entsprechende Wertschätzung erwarten – so, wie sie die Gewerkschaft für die MitarbeiterInnen mit Recht einfordert.“

Mit dieser Stellungnahme, die den an der Grenze zum Abreißen stehenden Geduldsfaden erkennen lässt, reagierte Tourismus-Obfrau Petra Nocker-Schwarzenbacher auf die Präsentation des seit 15 Jahren von der AK Oberösterreich mit dem Marktforschungsinstitut IFES erhobenen „Arbeitsklimaindex“ durch die Gewerkschaft VIDA. In einer Sonderauswertung für den Bereich Tourismus wird ein „drastischer“ Rückgang der Jobzufriedenheit und neben den üblichen Schwachpunkten wie Arbeitszeitgestaltung und Einkommen diagnostiziert und vor allem eine „dramatisch“ wachsende Unzufriedenheit mit dem „Führungsstil“ in den Vordergrund gestellt. Die Unzufriedenheit mit den „direkten Vorgesetzten“ wird auch für gesundheitliche Beeinträchtigungen (mit-)verantwortlich gemacht: Kreuzschmerzen und Muskelverspannungen, Erschöpfungszustände, Beinschmerzen, Kopfschmerzen, Verdauungsprobleme und erhöhter Blutdruck sollen „erheblich häufiger“ auftreten.

Nocker-Schwarzenbacher kritisierte neben dem Fehlen von Vergleichen mit anderen Branchen vor allem die viel zu kleine Stichprobe der Erhebung, die gültige Aussagen kaum zulässt. Dieses Problem ist bekannt: Von August 2018 bis Juni 2019 fanden in vier Tranchen rund 4.100 Mitarbeiter-Interviews statt. Für den Gesamtindex der Arbeitsklimaqualität über alle Branchen mag das ausreichend sein, die eindrucksvolle Zahl verliert an Gewicht, wenn man sie auf zehn Branchengruppen aufteilt, vier Teilindizes bildet und viele Filter nach Geschlecht, Alter, Ausbildungsgrad, Familienstand etc.etc. einführt. Die Grenze zum Absurden wird überschritten, wenn eine „Sonderauswertung“ für den Tourismusbereich herausgefiltert wird: Auf diesen entfallen ganze 322 Interviews im Jahr – 80 pro Erhebungswelle. Was dabei herauskommt, ist bekannt: Je kleiner das Sample, desto größer die statistische Schwankungsbreite. Man kann davon ausgehen, dass bei dieser geringen Fallzahl fast alle Veränderungen innerhalb dieses Bereiches liegen und daher kaum gültige Schlüsse zulassen. Sichtbar wird dies durch kurzfristige starke Ausschläge, für die es kaum eine Erklärung gibt. Ein gutes Beispiel dafür ist das Thema „Führungsstil: Nach Jahren einer unauffälligen, stabilen Entwicklung lag der Tourismus noch 2018 mit 77 Indexpunkten sogar über dem Gesamtindex aller Branchen mit 74. Nur wenige Monate später stürzte er 2019 auf 68 ab, der Gesamtindex allerdings ebenfalls auf 70. Der Führungsstil ist kein Parameter, der spontane Auswirkungen auf das Arbeitsklima einer ganzen Branche hat, die Ursache liegt daher am kleinen Sample: Nur ein paar Frustrierte mehr unter den stets wechselnden Interview­partnern, und schon lässt sich eine Krise darstellen.

Dass die Zahlen schwach sind, weiß auch die Gewerkschaft und verwendet sie daher auch kaum: Geredet wird von einer „dramatischen“ Entwicklung, auch wenn der Unterschied nur bei lächerlichen zwei Indexpunkten liegt.

Die Qualität der Führungskräfte ist ein Dauerthema in der Wirtschaft. In Branchen mit einem extrem hohen Anteil an Hilfskräften und weitaus überwiegender Kleinbetriebsstruktur wie Gastronomie und Hotellerie hat sie einen besonderen Stellenwert. Wenn Vida-Fachbereichschef Berend Tusch eine Förderung ihrer „sozialen Kompetenz“ fordert, liegt er richtig, neben der fachlichen Qualifikation ist sie für die Führungsqualität am wichtigsten. Mit seiner Annahme, dass „fairer und guter Umgang mit Menschen lehr- und lernbar“ ist, nur zum Teil, was aber nicht heißen soll, dass man sich nicht nach Kräften darum bemühen soll. Wie schwierig das ist, zeigen die Wünsche von Vida an eine neue Bunderegierung: Eine Förderung der Umwandlung unrentabler Betriebe in Personalquartiere, eine Rücknahme der Kürzung der Ruhezeiten von elf auf acht Stunden oder die Einrichtung einer für die Unternehmer sehr teuren „Tourismuskassa“, die nach dem Vorbild der Bauarbeiter-Urlaubskassa die Sicherung von Urlaubsansprüchen beim Jobwechsel besorgt, hat mit dem Thema höchstens mittelbar zu tun.

Beide Seiten haben ihre Bereitschaft zu konstruktiven Gesprächen hervorgehoben. Dass zunächst die Dreckschleuder angeworfen wird, ist wenig hilfreich für ihr Zustandekommen.

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