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Corona-Virus: Einfach weiter leben?

Print-Ausgabe 13. März 2020

„Leute, beruhigt euch: Da draußen tobt nicht Ebola, auch nicht die Beulenpest. Es grassiert eine Krankheit, die sich alleine schon mit Omas Benimmregeln eindämmen lässt (öfter die Hände waschen, nicht in die Gegend niesen, etc.). Im Jänner und Februar starben in Deutschland 202 Menschen an der Grippe, das sind (inzwischen überholt) um 202 mehr, als an Corona. Wir werden alle sterben, aber mit ziemlicher Sicherheit nicht an Corona.“

Die Formulierung ist deftig, wie es der deutschen „Bild am Sonntag“ entspricht, Kolumnist Kai Feldhaus trifft damit aber die wesentlichen Argumente jener stetig wachsenden Zahl von KritikerInnen, die den Hype um den neuen Virus aus China für maßlos überzogen ansehen. Umso mehr, seit die Bundes­regierung in einer Einmütigkeit und Entschlossenheit, die man sich bei anderen Gelegenheiten wünschen würde, ihre Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Virus verkündet hat: Drastische Eingriffe in das öffentliche Leben, wie man sie in unserer offenen Gesellschaft nie erwartet hätte. Kurz warnte davor, Corona als harmlose Krankheit in eine Reihe mit der als unvermeidlich akzeptierten Virusgrippe zu stellen, die Sterblichkeitsrate sei um ein Vielfaches höher. Abgesehen davon, dass ein Aufrechnen von Opfern nach dem Grundsatz, „jedes ist eines zu viel“ noch nie eine überzeugende Argumentation war, kommt in diesem Fall noch dazu, dass eine wirklich valide Berechnung kaum möglich ist: Fest steht nur die Zahl der Verstorbenen, auf der anderen Seite stehen nur jene, bei denen durch einen Test festgestellt wurde, dass sie infiziert sind. Ein Test findet aber nur in Fällen statt, in denen ein konkreter Verdacht besteht, etwa Krankheitssymptome, Aufenthalt in einem „Krisengebiet“ (inzwischen ganz Italien), aber auch nur ein Kontakt mit einem mit Corona Infizierten. Die Infektionsfälle, die gar nicht sichtbar werden, bleiben unberücksichtigt und eine mit 2,3 Prozent eingeschätzte Sterblichkeit könnte ebenso nur ein Bruchteil dieses Wertes und nicht mehr als jene unter einem Prozent liegende Rate sein, die für die „normale“ Influenza angenommen wird. Unberücksichtigt bleibt auch der üblicherweise sehr leichte Verlauf der Erkrankung mit rascher Genesung. Aus den absoluten Zahlen ist es noch weniger überzeugend, eine Seuche mit so katastrophalen Folgen abzuleiten, dass es zu rechtfertigen ist, ganze Länder wie Italien unter Quarantäne zu stellen und unabsehbare Folgen in Kauf zu nehmen. Die zuständige EU-Behörde weist 4.200 Infektio­nen mit 148 Todesfällen aus, in Österreich haben über 5.000 Tests 182 Infektionsfälle ergeben und (glücklicherweise) bisher keinen Todesfall: Sterblichkeitsrate Null.

Dass unter diesen Umständen die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der drastischen Maßnahmen mit rigorosen Verboten von Veranstaltungen über 500 BesucherInnen im Freien bzw. 100 „Indoor“ legitim ist, kann niemand bestreiten. Offen ausgesprochen wird Kritik selten, niemand will sich die Mitschuld an Opfern zuschieben lassen. Der Arzt und Buchautor Günther Lewitt plädiert für einen „nüchternen Umgang“ mit dem Problem und zeigt die Grenzen des Möglichen auf: Wer die Ausbreitung des Virus wirklich stoppen wollte, hätte schon bei den ersten Fällen in Nord­italien die Grenzen dicht machen müssen, für alle Fahr­zeuge. In einer westlichen Demokratie sind derart rigorose Schritte kaum durchführbar: „Irgendwann werden wir akzeptieren müssen, dass das Corona-Virus außerhalb unserer Kontrollnormen liegt und wir uns einer vielleicht gefährlichen, aber nicht existenzbedrohenden Grippewelle stellen müssen, ob wir wollen oder nicht“. Empfehlung: Das eigene Immunsystem stärken  – und einfach weiterleben.

Auch die Bundesregierung ist sich dessen bewusst, dass tiefe Eingriffe in das öffentliche Leben  nur für eine begrenzte Zeit möglich sind. Ziel ist daher nicht die Ausrottung des Virus, sondern das Einbremsen seiner Verbreitung, um zu verhindern, dass der „Peak“ seiner Wirksamkeit mit dem Höhepunkt der noch grassierenden Influenza-­Welle zusammenfällt. Unausgesprochen die Hoffnung, dass sich durch den Zeitgewinn Corona wie alle Epidemien tot läuft oder eine wirkungsvolle medizinische Behandlungsmöglichkeit gefunden wird. In der breiten Öffentlichkeit findet die Gangart der Regierung überwiegend Zustimmung und die Tourismuswirtschaft ist dadurch besänftigt, dass ihre Position als besonders belastete Branche in konkreten Hilfen – 100 Mio. Kreditgarantien – Anerkennung findet. Wenn die Auswirkungen der rigorosen Maßnahmen spürbar werden, wird die Kritik mit Sicherheit schärfer und Kurz & Co. werden sich der Frage stellen müssen, die der Chefredakteur der deutschen Allgemeinen Hotel- und Gaststätten Zeitung als einer der Wenigen offen so formulierte: Wäre es nicht besser, die Risikogruppen (Personen ab 75 Jahren oder mit Vor­erkrankungen) stärker zu schützen und die Allgemeinheit weniger zu beeinträchtigen? Der Empfehlung „einfach weiterleben“ kommt das schon recht nahe.

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