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Arbeitsklimaindex ist vor allem ein Ärgernis

Print-Ausgabe 21. Oktober 2016

Erneut präsentierte die Gewerkschaft Vida den „Arbeitsklimaindex“, der seit 1997 das gleiche Ergebnis zeigt: Der Tourismus ist auf Grund der miserablen Arbeitsbedingungen eine „Fluchtbranche“, der die Mitarbeiter davonlaufen. Eine „Sonderauswertung“ für Wien ergab, dass hier alles noch viel schlimmer sei. Am Rande sei erwähnt, dass die Wiener Werte – auf gleicher Höhe wie NÖ und das Burgenland – immer unter jenen der anderen Regionen liegen, wofür auch die Gewerkschaft strukturelle Unterschiede einräumt.

Die Vertreter der Wirtschaft erbittert vor allem, dass die Arbeitnehmerseite jedes Jahr eine „ganze Branche anschwärzt“, wie WKO-Tourismusobfrau Petra Nocker-Schwarzenbacher erklärte. Und ÖHV-Präsidentin Michaela Reitterer bezweifelt die Aussagekraft des Index: Um ein objektives Bild zu erhalten sei es notwendig, die Daten aller Branchen offen zu legen, statt immer nur den Tourismus anzupatzen.

Kein seriöses Ranking

Wie zutreffend ist der Vorwurf, das Gastgewerbe würde gezielt und konsequent schlecht gemacht, obwohl andere Branchen bei der Arbeitsplatzzufriedenheit nicht oder nur wenig besser liegen? Die im Internet zugängliche Datenbank macht es einfach, die Indexwerte für die Zufriedenheit der verschiedenen Branchen einander gegenüber zu stellen. Dazu einige Werte: Von 2011 bis 2016 ist der Arbeitsklima-Gesamtindex um drei Punkte auf 105 zurückgegangen. Im Handel waren es drei von 107 auf 104 und im Tourismus nur einer von 104 auf 103. Zum Schlusslicht wurde er damit aber keineswegs: Industrie und Gewerbe erreichte nur mehr 101 Punkte. Wenn man diese Zahlen ernst nimmt, könnte man glatt behaupten, der Tourismus habe sich besser entwickelt als die Gesamtwirtschaft und seine Position auf den 2. Rang verbessert.

Bei Teilbereichen ergibt sich ein anderes Bild, bei den Schwachpunkten Zeiteinteilung und Einkommen schneidet der Tourismus tatsächlich traditionell am schlechtesten ab. Hier kommt allerdings die größte Schwäche der Studie besonders stark zur Wirkung: Das unzureichende Sample. Vierteljährlich werden nur 900, aber jeweils andere Mitarbeiter befragt, der Index wird aus zwei Tranchen berechnet. Auf den Tourismus als eine von 10 Branchengruppen entfallen insgesamt 1.472 Befragte (Wien alleine: 241). Unterteilt auf vier Tranchen, vier Teilindices und 45 Filter ergibt das für die einzelne Position so niedrige Befragungszahlen, dass schon kleine Veränderungen enorme Auswirkungen auf die Ergebnisse haben. Die dafür typischen, kaum erklärbaren Ausschläge gibt es zu Hauf: So schnalzte beispielsweise der Tourismus 2013 von 100 im Jahr davor auf 108 hinauf und fiel bereits im nächsten Jahr wieder auf 102 zurück. Bei der Zufriedenheit mit dem Einkommen ging es vom Tiefpunkt 45 im Jahr 2012 in einem Sprung auf 52 im Folgejahr. Je kleiner das Sample, umso größer die statistische Schwankungsbreite: Wenn der Unterschied wie beim Gesamtindex nur wenige Punkte beträgt, ist ein seriöses Ranking nicht möglich.

Als Vorbild wird dem Tourismus immer wieder der Handel vorgehalten. AK-Präsident Rudolf Kaske meinte, er hätte ähnliche Probleme gehabt, man habe sich aber zusammengesetzt und Verbesserungen erreicht. Gar so gut ist das Beispiel nicht: Wenn sich der Handel zusammensetzt, sind das die Vertreter von Rewe, Spar und Hofer, die 85 Prozent des Lebensmittehandels abdecken und leicht Maßnahmen beschließen können. Dass sich das Image des Handels vor allem im Ausbildungsbereich tatsächlich verbessert hat, ist unübersehbar, findet allerdings im Arbeitsklimaindex keinen Niederschlag: 2011 lag er auf 107 Punkten, 2016 auf 104 – praktisch gleich mit dem Tourismus.

Lösung nur gemeinsam

Dass der Index vor allem eine Funktion als Ärgernis hat, bewies die Gewerkschaft: Vor wenigen Monaten präsentierte Vida-Obmann Berend Tusch das Ergebnis einer Online-Umfrage zum gleichen Thema, die zwar auch nicht das Bild einer Komfortbranche brachte, aber ein weit besseres als der Klimaindex.

Kaske und Tusch luden die Wirtschaftsvertreter zu einem „Tourismusgipfel“ ein, ÖHV und Kammer nahmen sie an, Wiens Gastronomieobmann Peter Dobjak beschwor die „gute Zeit der Sozialpartnerschaft“. Einig ist man sich auch, dass die seit langem auf dem Tisch liegenden Probleme nur gemeinsam gelöst werden können. Bisher ist man über gegenseitige Beschuldigungen kaum hinausgekommen. Ob es diesmal klappt? Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Günther Greul

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