Print-Ausgabe 12. April 2024
Der Tourismus wird sich massiv verändern müssen, um die Ziele des EU-Green Deal zu erreichen – Österreich hat dabei als Nahmarkt gute Chancen
In der letzten Kolumne von Petra Stolba, Kabinettschefin des Ersten Vizepräsidenten des europäischen Parlamentes Othmar Karas, ging es unter dem Titel „‚Green Deal‘ und ‚net zero‘ – Was bedeutet dies für den Tourismus?“ um die von allen Mitgliedsländern beschlossenen Klimaziele der EU: Demnach soll Europa 2050 der erste klimaneutrale Kontinent und damit „net zero“ sein (komplette Entfernung der erzeugten Treibhausgasemissionen, was in bestimmten Fällen auch durch Kompensation erfolgen kann). Das ist deshalb entscheidend, weil sich unser Planet – zusätzlich zu seinen üblichen Klimaschwankungen – durch die vom Menschen verursachten Treibhausgase erwärmt und damit den Klimawandel drastisch antreibt.
Das europäische Klimagesetz schreibt Reduktionsziele für Treibhausgase (THG) fest. Für den Weg dorthin arbeiten die EU-Länder an einem Bündel neuer Rechtsvorschriften, um diese gesteckten Ziele zu erreichen. Zusammengefasst wird dieses Maßnahmenpaket derzeit unter dem Titel „fit for 55“ (das bedeutet 55% Reduktion bis 2030). Fast alles ist davon schon legistisch umgesetzt und wird deutliche Auswirkungen auf das tägliche Leben und Wirtschaften haben, auch auf den Tourismus, der ja vor allem von der Ortsveränderung lebt. Mobilität, aber auch Betriebsgebäude sowie Gastronomie und Kulinarik (über landwirtschaftliche Produktion) sind davon genauso betroffen wie bestimmte Tourismusangebote (Wintertourismus, Thermen, Events und Festivals, Städte, etc.). Da stelle sich die Frage: Was von „fit for 55“ ist nun tatsächlich tourismusrelevant?
Um THG einzusparen, braucht es vor allem eine Energiewende. Also: weniger Energie verbrauchen und alternative Energieträger einsetzen. Das wichtigste Instrument der EU zur Senkung der Emissionen ist das Emissionshandelssystem „EU-EHS I“. Dieses deckt aktuell rund 40 % der gesamten EU-Emissionen ab und umfasst die Bereiche Strom- und Wärmeerzeugung, Industrie und Luftfahrt. Neu wird nun auch Seeverkehr dazu kommen. Durch weniger und teurere Zertifikate am Markt gibt es starke finanzielle Anreize zur Emissionssenkung.
Rund 60 % der EU-Emissionen kommen aus den Bereichen Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfall. Hier hat jeder Mitgliedsstaat in der Lastenteilungsverordnung verbindliche Emissionsverringerungsziele einzuhalten. Österreich hat zugestimmt, bis 2030 um -48 % an THG in diesen Bereichen einzusparen. Dazu wird es eine Reihe von Maßnahmen geben. So müssen z.B. im Flug- und Seeverkehr nachhaltige Kraftstoffe beigemengt werden (was diese Reisen teurer macht). Im Straßenverkehr und für Gebäude kommt bereits ab 2027 (also in drei Jahren) ein neues, separates Emissionshandelssystem „EU-EHS II“ zum Tragen: Brenn- und Kraftstoffe werden damit teurer und sollen Anreize für klimaschonendes Verhalten setzen.
Andererseits geht es darum, auf „grüne Energie“ umzustellen – also fossile Energieträger zu ersetzen. Der Umbau des existenziell wichtigen Energiesektors wird viele Bereiche beeinflussen. Diese Veränderung wird auch in der Landschaft ablesbar sein, etwa aufgrund der visuellen Fernwirkung von Windkraftanlagen mit Gesamthöhen bis zu 260 Metern. Parallel zur geplanten Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energie wird der Aus- und Neubau von Hochspannungsleitungen nötig. Energiewende kann zu einer Neugestaltung der Landschaft führen und wird sicherlich noch viele Fragen aufwerfen.
Der Green Deal wird also zu einer Mobilitätswende führen, die den Tourismus deutlich beeinflusst. Aktuell werden rund 8 bis 10 % der globalen THG vom weltweiten Tourismus verursacht. Den größten Anteil hat der touristische Flugverkehr (40 %), gefolgt vom Pkw-Transport (32 %) und Beherbergung (21 %). Neben dem Urlaubsverhalten vor Ort spielt daher vor allem die An- und Abreise eine große Rolle. Österreich ist übrigens ein erdgebundenes Tourismusland: Aktuell kommen rund 75 % der Gäste mit dem Auto und 10 % per Flugzeug.
Fest steht, dass mehr Gästeankünfte zwangsläufig zu mehr Emissionen führen, da durch diese Steigerungen mögliche Effizienzsteigerungen deutlich übertroffen werden (die Welttourismusorganisation UNWTO geht davon aus, dass 2024 mit rund 1,5 Mrd. internationalen Ankünften wieder das Niveau von 2019 mit damals 1,462 Mrd. erreicht bzw. um 2 % übertroffen werden wird). Eine Reduktion der touristischen Emissionen erscheint deshalb nur bei Effizienzsteigerung, Änderung der Verkehrsmittelwahl, kürzeren Flugdistanzen sowie längerer Aufenthaltsdauer möglich.
Prof. Paul Peeters – er ist außerordentlicher Professor für nachhaltigen Verkehr und Tourismus an der niederländischen Fachhochschule Breda – hat für die in UK ansässige Charity-Organisation „Travel Foundation“ mit seinem im Vorjahr erschienenen Report „Envisioning Tourism in 2030“ genau dazu sehr umfassend berechnet, wie ein Tourismus ‚net zero‘ aussehen würde (siehe Grafik). Es gibt demnach nur ein einziges Szenario, in dem Tourismus wächst und trotzdem 2050 ‚net zero‘ ist: Das geht nur mit einer sehr deutlichen Verkehrsverlagerung (vom Flugzeug auf die Bahn) und einer Verringerung der Reiseentfernungen (Nahmärkte).
Damit steht fest: Unser Mobilitätsverhalten wird sich verändern, auch im Urlaub. Und das hat deutliche Auswirkungen auf die Gästenachfrage sowie die Gestaltung der Tourismusangebote und das Tourismusmarketing.
Erstellt am: 12. April 2024
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