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ÖHV (Österreichische Hoteliervereinigung)

„70 Jahre sind kein Verdienst!“ ÖHV hat vor allem die Zukunft im Fokus

Print-Ausgabe 26. Mai 2023

„Wir wollen gemeinsam mit einem starken Präsidium die Hand in jene Wunden legen, die wichtig sind“, so Markus Gratzer (l.) und Walter Veit von der ÖHV (Bild Veit: © Bernhard Raab)

Große Feierlichkeiten rund um das stolze Jubiläum sind keine geplant – dafür wird jene Strategie ausgefeilt, um die Branche weiterhin zukunftsfit zu machen

Ihr 70-jähriges Bestehen begeht heuer die ÖHV (Österreichische Hoteliervereinigung). Seit ihrer Gründung am 31. Mai 1953 in Innsbruck ist der Verband auf 1.700 Mitglieder angewachsen, beschäftigt 20 Mitarbeiter:innen (je 10 im Verein und in der GmbH), mit Fokus auf 4- und 5-Sterne sowie gute 3-Sterne Hotels, die sich alle durch ihre Innovationsfreude auszeichnen. „70 Jahre fürwärts“ lautet die Devise, doch wie der seit dem Vorjahr amtierende ÖHV-Präsident Walter Veit und Generalsekretär Markus Gratzer im T.A.I.-Gespräch feststellen, „hat sich an den Themen nicht viel geändert“.

Wie ist das zu verstehen? Walter Veit zückt ein Papier, das den Titel „Die Hotellerie in der Wirtschaft von Morgen“ trägt und aus 1965 datiert. Die Hotellerie ist „ein klein- und mittelbetrieblicher Wirtschaftszweig mit niedrigen Erträgen, nicht nur kapitalintensiv, sondern außerdem noch arbeitsintensiv, mit unabdingbar hohen Personalkosten“. Und: „Sie stellt das Gegenteil des Leitbildes dar, das heute noch der modernen Wirtschaftspolitik zugrunde gelegt wird.“

Wow. Das sitzt. Wie gesagt, der Text stammt aus 1965. Walter Veit gab ihn vor kurzem bei einer Veranstaltung in Südtirol zum Besten. Ist das der Grund, weshalb sich die ÖHV wiederholt in lautstarker und pointiert vorgebrachter Kritik übt, was ihr vor allem von der Politik angekreidet wird? „Nein“, betonten Walter Veit und Markus Gratzer, „wir sehen uns in der Rolle bei allen Ministerien, egal von welcher Partei, aufzuzeigen, wo uns die Dinge weh tun.“ Und: „Wir üben Kritik nicht um der Kritik willen, sondern unterlegen das mit konkreten Daten und versuchen, immer Lösungen aufzuzeigen, um in weiterer Folge Dinge zu ändern … aber da wird oft schon nicht mehr hingehört.“

Leider seien zuletzt „viele politische Schnellschüsse in die Hose gegangen“, so Veit und Gratzer. Ihr Vorschlag: „Die Branche einbinden, um Entwürfe mit der Realität gegenchecken zu können.“

Aus diesem Grund wird von der ÖHV jetzt auch der „Strategie­prozess 2030“ gestartet. Dabei gehe es darum, Betrieben die Sicherheit zu geben, wie sie sich am besten aufstellen, um auch 2023 erfolgreich agieren zu können. In einem ersten Schritt kommt es exakt am 31. Mai 2023, dem 70. Jahrestag, zu einem ÖHV-internen „Kick-off“, um ab Herbst gemeinsam mit dem ÖHV-Präsidium die Wege zu diskutieren und die dafür benötigten Budgetmittel aufzustellen. Ab 2024 wird der Strategieprozess „in den Betrieben ankommen. Er wird unser Arbeitspapier“, so Markus Gratzer. „Unsere Mitglieder möchten in die Zukunft schauen, nicht in die Vergangenheit.“

Wobei die Gegenwart auch genügend Herausforderungen mit sich bringt. So wie etwa – eine ewige ÖHV-Forderung – die Senkung der Lohnnebenkosten: „Es geht längst nicht mehr darum, ob das möglich ist, sondern darum, dass es notwendig ist“, betont Walter Veit. „Der Faktor Arbeit muss entlastet werden. Österreich besteuert seit Jahrzehnten nur über die Arbeit.“

Alles drehe sich immer um die Frage, wo Produktivität entsteht. Doch speziell im Dienstleistungsbereich zähle der Faktor Arbeit extrem. Heute erreichen die durchschnittlichen Personalkosten in der Hotellerie 43 %, „manche gehen schon in Richtung 50 %“, so Walter Veit. Als er vor 40 Jahren in der Hotellerie begonnen hat, waren es 20 bis 24 %.

Ein weiteres Thema ist der Mitarbeiter:innen-Mangel. Viele Hotels haben aus diesem Grund bereits die Öffnungszeiten ihrer Restaurants einschränken müssen. „Doch die Fixkosten laufen 7 Tage“, betont Veit, der in diesem Zusammenhang auch auf den Chef des AMS (Arbeitsmarktservice Österreich) Johannes Kopf verweist. Kopf hatte jüngst wiederholt betont, dass angesichts des herrschenden Arbeitskräftemangels gewisse Leistungen zurückgefahren werden müssen, inklusive mehrerer Ruhetage.

Das Paradoxon: Im Vergleich mit 2019 gab es im ersten Quartal 2023 in Österreichs Gesamtwirtschaft die höchste jemals gemessene Beschäftigtenzahl, aber das bei einer im Durchschnitt um 1,5 Stunden geringeren Arbeitszeit. Im Tourismus werden aktuell rund 230.000 Beschäftigte ausgewiesen, aber es fehlen 30.000 Mitarbeiter:innen, deren Zahl in den kommenden Jahren durch die Demografie (Baby­boomer-Generation geht in Pen­sion) auf 50.000 anwachsen dürfte. Laut Walter Veit hätten die skandinavischen Länder „das schon längst kapiert und umgesetzt. Dort werden zum Beispiel 65-Jährige zu Busfahrer:innen ausgebildet.“

In der Hotellerie sind es derzeit knapp rund 100.000 Mitarbeiter:innen, um 5.000 mehr als 2019. Dem steht aber österreichweit ein um 3.000 Betten gewachsenes Angebot gegenüber. Laut Walter Veit fehlen rund 10.000 Mitarbeiter:innen.

Um Nachwuchskräfte für die Branche zu gewinnen und in ihr zu halten, gibt es bereits seit rund 30 Jahren den ÖHV-Campus (Weiterbildung für Unternehmer und Mitarbeiter:innen). Heuer kam neu das Tool „Young Talents“ hinzu, bei dem gemeinsam mit Tourismusschulen junge Mitarbeiter:innen für den Tourismus begeistert werden sollen. Geboten werden u. a. Seminare in Betrieben und Video-Wettbewerbe. Markus Gratzer: „Da geht’s um die Attraktivierung des Praktikums.“

Die dritte Initiative in diesem Bereich läuft unter dem Namen „ÖHV Friends“. Es handelt sich um ein betriebsübergreifendes Mitarbeiter:innen-Bindungsprogramm. Zum Beispiel werden 25 % Rabatt gewährt, wenn in anderen ÖHV-­Betrieben der Urlaub verbracht wird. „Wir möchten in den nächsten Jahren weitere Bausteine mit anderen Themen dazu geben“, so Gratzer. Und: „Wir können nicht auf die Politik oder andere Rahmenbedingungen warten, sondern müssen selbst aktiv werden.“

Und dann nimmt natürlich die Nachhaltigkeit einen hohen Stellenwert ein. Markus Gratzer: „Wir sind hier Themenführer in Öster­reich, zuletzt durch die Veranstaltung der ‚Green Conference‘.“ Sein Versprechen: „Wir werden weitere Initiativen in diese Richtung setzen.“

Spezielle Feierlichkeiten rund um das 70 Jahre-Jubiläum sind übrigens keine geplant. „70 Jahre werden ist kein Verdienst“, so Walter Veit und Markus Gratzer, um im selben Atemzug zu betonten: „Alle unsere Vorgänger:innen haben offensichtlich die Dinge richtig gemacht.“ Eines haben sich die beiden deshalb vorgenommen: „Wir wollen gemeinsam mit einem starken Präsidium die Hand in jene Wunden legen, die wichtig sind.“ Und als Verein? Diesbezüglich lautet das Ziel, mit der Branche zu wachsen: „2.000 Mitglieder wären schön.“

Interessant sind ergänzend dazu folgende weiterführende Berichte:
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