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FHWien der WKW

Über Waldviertler Mohn und das Heilwissen der Pinzgauerinnen

Print-Ausgabe 26. Mai 2023

„Immaterielles Kulturerbe braucht einen Raum, wo es frei existieren und sich weiter­entwickeln darf“, so Researcher und Lecturer Maria Katelieva

Die nachhaltige Nutzung des immateriellen Kulturerbes stellt einen wichtigen Weg zur Gestaltung von verantwortungsvollen und authentischen Reiseerlebnissen dar

Das Thema nachhaltiger Tourismus wird immer wichtiger. Hand in Hand damit steigt die Nachfrage nach verantwortungsvollen Reise­erlebnissen, welche die lokalen Gemeinschaften und ihr kulturelles Erbe respektieren oder sogar unterstützen. Denn die Reisenden werden sich nicht nur der ökologischen, sondern auch der sozialen und kulturellen Auswirkungen ihrer Reisen immer bewusster. Dabei spielt auch das „immaterielle Kulturerbe“ eine bedeutende Rolle. „Die nachhaltige Nutzung, Inwertsetzung und Förderung dieses Erbes ist sehr wichtig für ein verantwortungsvolles und sinnvolles Zusammenspiel von Kultur und Tourismus“, betont dazu Maria Katelieva, die seit Februar dieses Jahres als Researcher und Lecturer für das Spezialgebiet Tourism & Sustainability an der FHWien der WKW tätig ist und zuvor über sieben Jahre in selber Position am IMC Krems war, wo sie seit Februar zusätzlich noch als Lecturer fungiert.

Für Maria Katelieva steht eines fest: „Auch viele Regionen, die nicht über großartige Architektur oder attraktive Landschaften verfügen oder etwas abseits der touristischen Ströme bleiben, können ihr kulturelles Kapital nutzen, um der Region eine Identität und Einzigartigkeit zu verleihen.“

Wobei sich zunächst die Frage stellt, was unter „immateriellem Kulturerbe“ zu verstehen ist. Maria Katelieva: „Es bezieht sich auf die lebendigen Ausdrucksformen der Kultur, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, einschließlich Traditionen, Ritualen, mündlichen Überlieferungen, Handwerkskunst, Musik, kulinarischen Praktiken, Festen, Wissen und Können etc.“ Der Begriff bringt ihr zufolge aber auch Probleme mit sich, „da es sich um ein schwer definierbares und einzugrenzendes Kulturphänomen handelt. Die Versuche der Wissenschaft und Politik, das immaterielle Kultur­erbe in Kategorien und Listen zu ordnen und zu ‚bewahren‘, sind nicht immer relevant für unsere Kultur, die ständig im Wandel ist.“

Nach Ansicht von Maria Katelieva braucht immaterielles Kultur­erbe daher einen Raum, „wo es frei existieren und sich weiterent­wickeln darf“. Trotzdem bestehen Grenzen, denn dieses besondere Kulturerbe umfasst – wie der Name schon sagt – „immaterielle Aspekte der kulturellen Identität einer Gemeinschaft. Diese sind oft eng mit ihrer natürlichen Umgebung, ihrer sozialen Struktur und ihrer Geschichte verwoben. Daher soll vor allem die Gemeinschaft auch die Richtung dieser Entwicklung vorgeben.“

Laut Maria Katelieva versuchen die UNESCO-Konvention zum Schutz des immateriellen Kulturerbes und der Globale Ethikkodex für den Tourismus der WTO (Welttourismusorganisation) diesen Raum zu schaffen. Leider sind diese Politiken nach Ansicht von Maria Katelieva „oft zu starr und eingrenzend, sodass sie der nachhaltigen Entwicklung der lebenden Kultur oft im Wege stehen“. Ein weiteres Problem besteht darin, dass Schutz-Politiken und Maßnahmen oft Ausschluss-Mechanismen („Was darf als kulturelles Erbe bezeichnet werden und was nicht?“) oder Konflikte schaffen, da es sich oft um immaterielles Eigentum handelt.

Einer der wichtigsten Grund­sätze des nachhaltigen Tourismus ist laut Maria Katelieva „der respektvolle Umgang mit den lokalen Kulturen vor Ort“. Deshalb können auch Tourismusunternehmen dazu beitragen, diesen kulturellen Ausdrucksformen den notwendigen „Raum“ zu verschaffen. Dies in der Form, dass sie das immaterielle Kulturerbe aller Gruppen im entsprechenden Reiseziel anerkennen, respektvoll in ihre Angebote inkludieren, nachhaltig „erhalten“, aber auch weiterentwickeln, damit es an die nächste Generation, aber auch „nach außen“ weitergegeben werden kann.

Für Maria Katelieva steht fest: „Eine nachhaltige Nutzung des immateriellen Kulturerbes im Tourismus kann für die lokale Gemeinschaft nicht nur wirtschaftliche Vorteile bringen, sondern auch soziale Aspekte unterstützen.“ Als Beispiele nennt sie die Inklusion von verschiedenen Altersgruppen oder von ethnischen Minderheiten.

Im Zusammenhang mit immateriellem Kulturerbe übernahm etwa das Waldviertel eine Vorreiterrolle: Dort spielt die Tradition vom Mohn und die mit ihm verbundene regionale Küche eine wichtige Rolle. Nach mehreren Jahrzehnten Pause wurde seit den 1980ern diese Tradition wiederbelebt, Mohn wird vermehrt angebaut und geschätzt. Die lokale Bevölkerung betrachtet ihn nicht nur als wichtiges landwirtschaftliches Produkt, das an Besucher:innen verkauft wird, sondern teilt lokales Wissen und regionale Rezepte mit den Gästen in Form von Führungen, Workshops, Kochbüchern etc. Maria Katelieva: „So verleiht das lokale immaterielle Kulturerbe gemeinsam mit der Kulturlandschaft der Region eine Identität und ein ‚Destinationsimage‘.“

Ein gelungener Transfer vom „traditionellen Wissen“ in die Gegenwart und über die Grenzen einer Region hinaus ist nach Meinung von Maria Katelieva auch das Wissen über Heilpflanzen. Es wird in der Zeit der „Do it yourself“- und „Urban gardening“-Kultur immer attraktiver und interessanter. „Allerdings steht in Österreich dieses Wissen als ‚Heilwissen der Pinzgauerinnen‘ in der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes. Und das ist ein Beispiel dafür, wie problematisch eine regionale Eingrenzung von einem schwer einzugrenzenden Phänomen wie Wissen sein kann“, gibt Maria Katelieva zu bedenken. „Dieses Wissen existiert in anderen Regionen in einer ähnlichen Form und wem dieses Wissen ‚gehört‘, oder wer davon letztlich profitieren darf, ist bei einer Vermarktung und touristischen Nutzung natürlich eine große Frage.“

Darauf gibt es laut Maria Katelieva derzeit noch keine schlüssige Antwort und die unterschiedlichen Interessen vieler Akteur:innen müssen in jedem Einzelfall sorgfältig berücksichtigt werden. Ihre Schlussfolgerung daraus: „Daher ist bei der Planung von touristischen Produkten oder lokalen Initiativen, die immaterielles Kulturerbe beinhalten, immer ein Bottom-up-­Ansatz wichtig, der alle relevanten Akteur:innen von Anfang an in die Planung und Umsetzung involviert.“

Nachhaltige Tourismusinitiativen in Österreich sollten also darauf abzielen, lokale Kultur in den Regionen zu fördern und gleichzeitig die lokale Bevölkerung zu unterstützen, indem sie ihre Arbeit fördern und Gästen der Region die Möglichkeit bieten, das traditionelle Wissen und Können in Workshops und bei Vorführungen kennenzulernen. Maria Katelieva: „Der respektvolle Umgang und das Teilen des immateriellen Kulturerbes sind die ersten und wichtigsten Schritte in Richtung nachhaltige touristische Inwertsetzung.“

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