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Destinationen & Nachhaltigkeit

Gescheiterte Nachhaltigkeit? FH Wien bringt Ideen, das zu ändern

Print-Ausgabe 19. November 2021

Claudia Szivatz-Spatt (l.) und Xavier Matteucci, Lehrende für Tourism & Hospitaility Management an der FHWien


 

Die Komplexität der DMOs und kognitive Dissonanz der Gäste entzieht dem Streben nach Nachhaltigkeit oft den Boden – Die FH Wien zeigt Wege auf, das zu verhindern

Ungeachtet der Corona-­Pandemie ist der Klima­wandel das alles bestimmende Jahrhundert-Thema. Auch im Tourismus, denn der braucht intakte Natur, wirtschaftlich gesunde Betriebe sowie zufriedene Mitarbeiter*innen und Einheimische. Nachhaltigkeit hat sich hier als Oberbegriff etabliert. Die steht leider oft auf tönernen Füssen. Denn sowohl Kund*innen als auch Tourismusverantwortliche treffen immer wieder Entscheidungen, die der Nachhaltigkeit entgegenstehen. Welche Gründe dazu führen, ist Gegenstand von Untersuchungen der FHWien der WKW (Wirtschaftskammer Wien).

„Seit Jahrzehnten liefern Forschungsergebnisse und Studien wissenschaftliche als auch praxis­nahe Grundlagen für die Gestaltung eines ökologischen und sozialverträglichen Tourismus“, so Florian Aubke, Leiter des Studienbereichs Tourism & Hospitality Management, der in diesem Zusammenhang auf einen Widerspruch hinweist: „Sowohl in der Wissenschaft als auch im Destinationsmanagement wird gerne von einem nötigen Paradigmenwechsel im Tourismus gesprochen: Weg von Quantität, hin zu mehr Qualität. Doch wenn von der Wettbewerbsfähigkeit auf Destinationsebene gesprochen wird, ist die Orientierung an quantitativen Indikatoren wie Ankünften und Nächtigungen präsent wie eh und je.“

Xavier Matteucci, Lehrender und Forscher für Tourism & Hospitality Management an der FHWien, sieht die Ursachen dafür einerseits in der organisatorischen Struktur der Destinationen: „Sie sind komplexe Systeme mit einer Vielzahl an Akteur*innen, Prozessen und Stakeholdern. Diese Komplexität überfordert oft die derzeitigen Entscheidungsprozesse und verhindert wirklich nachhaltige Entwicklungen.“ Andererseits erzeugt der Nachhaltigkeitstrend auf Seite der Konsument*innen ambivalente Entscheidungsmuster. Matteucci: „Es ist hinlänglich bekannt, dass eine Flugreise höhere CO2-Emmissionen verursacht und damit umweltschädlicher ist als eine Bahnfahrt. Doch Hand aufs Herz: Wer bucht letztendlich nicht doch den Hin- und Retourflug für die Teilnahme an einem Kongress oder an der ITB in Berlin statt der Zugreise?“

Claudia Szivatz-Spatt, Academic Expert & Lecturer für Destinationen und Nachhaltigkeit im Studien­bereich Tourism & Hospitality Management an der FHWien, erklärt dieses Phänomen so: „Dass wir als Konsument*innen entgegen besseren Wissens eine Kaufentscheidung für das weniger grüne Produkt treffen, ist im Alltag ein ständiger Begleiter. Und trotzdem hinterlässt es meistens ein unangenehmes Gefühl – also eine kognitive Dissonanz.“ Wichtig sei ihrer Ansicht nach deshalb, zu verstehen, mit welchen Argumenten Kund*innen versuchen, diese Handlungen zu legitimieren. Im Fall der Flug- statt Zugbuchung seien das Argumente wie vermeintlich geringere Kosten für Flugtickets, Zeitersparnis durch kürzere Reisedauer, oder weil man vorhatte, die zusätzlichen CO2-Emissionen monetär zu kompensieren. Nach Ansicht von Claudia Szivatz-­Spatt ist es notwendig, diese „Ausreden“ vor sich selbst auszuhebeln: „Dazu sollten individuelle positive Anreize bzw. Belohnungen für die ursprünglich intendierte, nachhaltigere Option geschaffen und diese in die Kaufentscheidung miteinbezogen werden.“ Als Beispiele nennt sie den Business-Trip mit einem verlängerten Wochenende zu kombinieren, was den zeitlichen Mehraufwand einer Zugreise wieder reduzieren würde.

Auch Destinationen sollten nicht wieder zum „business as usual“ übergehen. Ihnen empfiehlt Xavier Matteucci, sich der Komplexität zu stellen. Dies könne durch eine holistischere Betrachtung der Destinationen, die stärkere Berücksichtigung von regionalen Ökosystemen sowie einem höheren Stellenwert von Indikatoren, wie der Lebensqualität der ansässigen Bevölkerung in der Destinationsentwicklung, erfolgen.

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