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Standpunkt

Genosse Nächtigungs-Rekord

Print-Ausgabe 1. Dezember 2017

Als die politischen Eliten kommunistischer Staaten im vorigen Jahrhundert daran gingen, ihre Wirtschaftsleistungen kräftig nach oben zu pushen, griffen sie zu Fünf-Jahres-Plänen. Das Erreichen der darin festgelegten Produktionszahlen hatte oberste Priorität. Wenn die Qualität dabei auf der Strecke blieb – und das tat sie in höchst konsequenter Weise – spielte das keine Rolle. Hauptsache der Output stimmte. Der Rest verkümmerte. Das Ende ist bekannt.

Österreich hatte das historische Glück, diesseits des Eisernen Vorhangs zu landen. Was nichts daran ändert, dass auch hierzulande der Quantitäts-Fetisch in mehr oder weniger intensiver Ausprägung sein Unwesen treibt. Auch im Tourismus. Hier tut er es nicht in Form verunglückter Fünf-Jahres-Pläne, dafür aber in Gestalt von Ankünften und Nächtigungen.

Das ist leider keine neue Erkenntnis, sondern ein abgelutschtes Stereotyp. In unerträglicher Art und Weise wird am Hinausposaunen von Gäste- und Übernachtungs-Rekorden festgehalten. Dieser Tage war es wieder soweit. Das beste Sommer-Nächtigungsergebnis seit einem viertel Jahrhundert. Ankünfte im All-Time-High.

Super. Mitte des vorigen Jahrhunderts ließ sich Genosse Stalin feiern, als sein Land binnen eineinhalb Jahrzehnten die Industrie-Produktion um 300 Prozent ausgeweitet hatte. Hand in Hand mit einem Hochschnellen der Beschäftigung im selben Ausmaß. Leider war dafür eine Steigerung des Kapitalaufwands in Höhe von 450 Prozent nötig. Gejubelt wurde trotzdem. Das Missverhältnis war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

Das Auseinanderklaffen der Steigerungsraten von Nächtigungen und Tourismuseinnahmen in Österreich erreicht keine Stalin’schen Ausmaße. Aber ist Tatsache. Während erstere im Sommer 2017 um 2,7 Prozent zulegten, taten es die Umsätze Inflations-bereinigt nur um 1,6 Prozent. Eine Lücke von -1,1 Prozent. Im Vorjahressommer waren es -0,2 Prozent. Gleichzeitig hat die Aufenthaltsdauer einen historischen Tiefstwert erreicht.

Hinausposaunt werden nur die Rekord-Quantitäten. Vom Wirtschaftsminister Mahrer ebenso wie von den Tourismus-Landesräten. Wozu? Und weshalb wird die unerfreuliche Entwicklung der Einnahmen unter den Tisch gekehrt?

Auf Kommando lassen sich rückläufige Aufenthaltsdauern – sie sind ein weltweiter Trend – und sinkende reale Einnahmen – auch hier bildet der Österreich-Tourismus keine Ausnahme – nicht umdrehen. Das eine wie das andere zu Negieren bedeutet aber, falsche Schlüsse zu ziehen und verfehlte Maßnahmen zu setzen.

Hören wir endlich mit den verblödeten Jubelmeldungen auf! Fangen wir an, der Realität ins Auge zu sehen. Je eher, desto besser, meint nicht alleine der

Lupo

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