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„Das Berühren der Figüren …“

Print-Ausgabe 17. November 2017

„Sind alle Männer Tiere?“ Mit diesem Titel am Cover erschien das Nachrichtenmagazin „profil“ am Höhepunkt der weltweiten Sexismus-Diskussion, die durch die Praktiken des Hollywood- Produzenten Harvey Weinstein ausgelöst worden war. Sie wurde nicht nur von den für ein so publikumswirksames Thema natürlich offenen Medien kräftig befeuert, sondern auch von der Politik, die zunehmend Vergnügen daran findet, wie Gegner mit moralischem Schlamm  überschüttet werden, ohne sich selbst die Finger zu bekleckern. Dabei wäre Vorsicht geboten, denn wenn tief genug gegraben wird, findet sich überall etwas. Und dass man schon ziemlich tief ist, zeigen ein paar Beispiele: Der inzwischen über 80-jährige Filmstar Dustin Hofmann wurde mit dem Vorwurf konfrontiert, 1985 – also vor 32 Jahren – ein Mädchen sexuell belästigt zu haben. Der 94-jährige US-Expräsident George Bush musste sich dafür entschuldigen, vor Jahren bereits aus dem Rollstuhl heraus eine Frau unsittlich berührt zu haben. Und in Großbritannien trat Verteidigungsminister Fallon zurück, weil er bei einem Dinner einer Journalistin mehrfach ans Knie gegriffen hat – vor 15 Jahren. Das alles mag unzulässiges Verhalten sein, das niemand tolerieren muss, der sich angegriffen fühlt. Aber reicht eine unbewiesene Behauptung eines Jahre zurückliegenden, nicht einmal strafbaren Tatbestandes aus, über den Medien-Pranger Karrieren oder Existenzen zu ruinieren? Bevor die Empörung soweit ausufert, dass die Grenze zwischen einem schlüpfrigen Witz und einer versuchten Vergewaltigung verschwimmt, ist ein Blick auf die Realität ratsam: Ungusteln wie den Herrn Weinstein wird es immer geben, die berüchtigte „Besetzungscouch“ wurde weder von ihm, noch von Hollywood erfunden und einigermaßen selbstbewusste Frauen wissen, wie man mit solchen Situationen umgeht. Die Diskussion hat gezeigt, dass natürlich nicht alle Männer Tiere sind, aber auch, dass ein beachtlicher Anteil beim Hauptunterscheidungsmerkmal, nämlich den Paarungstrieb per Verstand unter Kontrolle halten zu können, noch erhebliche Defizite hat. Dass wir in dieser Frage so hohe moralische Standards anlegen können, sollte nicht zum Eindruck führen, dass sie selbstverständlich wären: Es gibt große Gesellschaften, die ihre Frauen verhüllen oder separieren, weil sie offensichtlich nicht darauf vertrauen, dass ihre Männer beim Anblick weiblicher Rundungen nicht die Beherrschung verlieren. Und in den USA, der Hochburg moralischer Empörung, wurde ein Mann zum Präsidenten gewählt, der sich selbst als Grapscher outete, noch dazu als besonders übler, weil er dieses „Privileg“ aus seiner Position als „Prominenter“ ableitete. Der Einsatz hierarchischer Überlegenheit bei einem Großteil der sexuellen Belästigungen auf dem Arbeitsplatz ist der wesentliche Grund für das Schutzbedürfnis der Frauen: Auch Selbstbewusste und Starke sind dieser Form der Erpressung oft nicht gewachsen.

Niemand will darüber reden

Mit rund einem Drittel aller Beschwerden über sexuelle Belästigung ist das Gastgewerbe – gefolgt von anderen Dienstleistungsbranchen – der Spitzenreiter. Einigermaßen aussagekräftige Zahlen gibt es allerdings nicht: Der Wiener Arbeiterkammer ist es nicht gelungen, für eine Studie mehr als 22 junge Damen und 17 Herren dafür zu gewinnen, über das Tabuthema zu reden, das Ergebnis lässt daher keine quantitativen Aussagen zu. Nur von der Staatsanwaltschaft, bei der nur jener relativ kleine Anteil der Beschwerden landet, für die das Strafrecht zuständig ist und die auf Betriebsebene oder bei der „Gleichstellungsanwaltschaft“ keine Lösung fanden, gibt es Zahlen: Von den knapp 1.600 Anzeigen im Vorjahr, die über eine verbale Belästigung hinaus gingen, führten rund 30 Prozent zu einer Anklage, nur 10 Prozent endeten mit einer Verurteilung und sieben Prozent mit einem Vergleich. Wenn die Drittelschätzung stimmt, entfallen von den 264 Belästigungsopfern, die bei Gericht ein positives Ergebnis erreichten, 88 auf das Gastgewerbe. Dass es nicht mehr sind, liegt vor allem an der diffusen Gesetzeslage mit weitgehenden Auslegungsmöglichkeiten, die es wenig verlockend erscheinen lässt, sich auf ein Verfahren einzulassen, bei dem häufig der mit peinlicher Befragung verbundene Glaubwürdigkeitsnachweis im Mittelpunkt steht.

Ein genervter Hotelier meinte zum Thema, er werde sich an einem Aushang im Lokal seines Vaters orientieren, als der Begriff „Sexuelle Belästigung“ noch nicht erfunden war: „Die Figüren zu berühren mit den Pfoten ist verboten“. Deckt zwar nicht alles ab, ist aber immerhin ein Ansatz.

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