ANA
Zollfreie Gedanken

Kein schöner Zug

Print-Ausgabe 21. April 2017

Vom Enthusiasmus der Gründerväter, die vor 60 Jahren die EU aus der Taufe hoben, ist bis zum heutigen Tag so gut wie nichts in den Herzen der Europäer angekommen. Am ehesten noch bei der Jugend, wie die Abstimmung über den Brexit zeigte, der von den jungen Briten mit großer Mehrheit abgelehnt wurde. Der Schriftsteller Robert Menasse, ein glühender Europäer, hatte dazu eine Idee. Aufgegriffen wurde sie von zwei Aktivisten, die eine der Fraktionen des Europäischen Parlaments dafür begeistern konnten – die EU solle doch allen jungen Europäern zur Volljährigkeit ein Interrailticket schenken. Um endlich einmal die europäische Idee für junge Menschen praktisch erlebbar zu machen und den oftmals als seelenlose Monster erscheinenden EU-Institutionen zu einem Sympathiegewinn zu verhelfen.

Und womit ginge das besser als mit einem großzügigen Angebot, Europa zu bereisen. Meinten die Initiatoren. Nicht aber die EU-Kommission. Flugs hatte sie Projektkosten von 1,9 Milliarden Euro errechnet, indem sie die teuerste Version des Interrail-Passes ansetzte und sie mit jenen 5,4 Millionen EU-Bürgern multiplizierte, die jährlich das achtzehnte Lebensjahr erreichen. Ungeachtet dessen, dass es selbstverständlich auch günstigere Tickets gibt, beispielsweise für 5 Reisetage innerhalb von 2 Wochen, was auf ca. 1,1 Milliarden Euro zu stehen käme. Auch ist, wie es scheint, niemand auf den Gedanken gekommen, einmal mit den europäischen Bahnverwaltungen zu reden, denen diese gigantische und eigentlich unbezahlbare Werbeaktion und der garantierte Absatz von 5,4 Millionen Interrail-Pässen doch einiges wert sein müssten. Noch dazu, wenn für Verkauf und Abwicklung eine erprobte Struktur besteht und sich so der organisatorische Aufwand in Grenzen halten würde.

Stattdessen wurde ein Mini-Programm für 7.000 junge Menschen ersonnen, die sich über ein Ticket im Wert von etwa 450 Euro freuen dürfen, gültig auf allen Verkehrsträgern, also auch auf Flugzeugen. Um in diesem Fall nur ja ökologisch korrekt vorzugehen, müssen die beim Fliegen erzeugten Emissionen auf anderen Teilstrecken wieder ausgeglichen werden. Das bedingt mit Sicherheit einen enormen bürokratischen Aufwand wenn nicht gleich die Gründung eines eigenen Amtes,  dessen Kosten sich zum errechneten Betrag von 2,5 Millionen Euro für die Tickets dazuschlagen würden. Falls es überhaupt dazu kommt und nicht überhaupt gleich eine großartige Idee auf administrativem Weg elegant entsorgt wird. Wonach sich die Kommission wieder einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen widmen kann: der Klage über den nicht und nicht zu überbrückenden Graben zwischen EU-Bürgern und EU-Institutionen.

Übrigens: Die Europäische Zentralbank kauft seit Jahren zur Stützung des Bankensystems Anleihen im Wert von mindestens 60 Milliarden Euro. Pro Monat.

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