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Werden in Wien Schanigärten durch Stehtische ersetzt?

Print-Ausgabe 20. Mai 2016

Wenn es in einem von Streit und Missgunst geprägten politischen Klima gelingt, alle Parteien nicht nur an einen Tisch, sondern zu einer gemeinsamen Pressekonferenz zu bringen, muss es wohl um ein Problem gehen, das einen Schulterschluss als Notmaßnahme gegen eine existentielle Bedrohung verlangt. Gelungen ist dies dem neuen ÖVP-Bezirksvorsteher der Wiener Innenstadt, Markus Figl. Das Thema, zu dem er Bezirkspolitiker von SPÖ, Grüne, FPÖ und Neos – zuzüglich einiger Bürgerinitiativen – zu einem Protestauftritt motivieren konnte, ist ja auch wirklich weltbewegend: Die Ablehnung der Ausdehnung der „Schanigarten“-Saison auf das ganze Jahr. Dabei geht es um nicht mehr als die drei Monate von Dezember bis Ende Februar, in denen Wiens Wirte ihre Gäste trotz milder Temperaturen nicht im Freien bewirten dürfen. Die Gründe für die Ablehnung sind unterschiedlich, auf einen Nenner gebracht geht es darum, den „Wildwuchs“ zu bremsen, der den Bezirksbewohnern die Bewegungsfreiheit im „öffentlichen Raum“ nimmt. Motto: Die Wiener Innenstadt darf nicht Disneyland werden.

Als Trostpflaster versagt

Die Schanigarten-Liberalisierung war als eine Art Trostpflaster für das Gastgewerbe gedacht, die „Flexibilisierung“ wurde sogar im Wiener rot-grünen Regierungsprogramm verankert. Eine einfache Übung: Hätte die Stadt Wien die Schanigarten-Pause einfach gestrichen, hätte kaum ein Hahn danach gekräht. Aber Wirtschaftsstadträtin Brauner entschied sich wegen Bedenken der Bezirksvertretungen für eine „Befragung“, in der vier Varianten angeboten wurden, von einfachen Stehtischen ohne Service bis zu den üblichen Gärten, allerdings mit einem „Winterzuschlag“ bei den Gebühren. Und befragt wurden unter dem Sammelbegriff „Stakeholder“ die Bezirksvorsteher, die Wirtschaftskammer, die betroffenen Magistratsabteilungen etc., aber nicht die Betroffenen. Die Neos befanden dies als Farce, die Wirtschaftskammer führte eine eigene Befragung der 7.000 Gastwirte durch.

Mit dem voraussehbaren Chaos wurde die ursprünglich so simple Schanigarten-Frage zum Politikum: Jeder hat andere Vorstellungen, oft abweichend von den angebotenen Varianten. Dass die befragten Gastwirte fast zur Hälfte für die Ganzjahresöffnung der üblichen Schanigärten plädierten, ist keine Überraschung, schon eher, dass ein Viertel auch mit einer Kürzung der Wintersperre auf zwei Monate zufrieden wäre. Bei den Bezirken und den anderen „stadtnahen“ Institutionen wird die Stehtischlösung bevorzugt. Innenstadtchef Figl ist für kleine Tische entlang der Hausmauer, und zwar nicht nur für den Winter, sondern möglichst generell. Kaum vorstellbar, dass er das ernst meint.

Wie unter diesen Voraussetzungen am „runden Tisch“, zu dem Wirtschaftsstadträtin Brauner alle Beteiligten noch im Mai laden will, eine gemeinsame Lösung gefunden werden kann, die noch im Herbst beschlossen wird, ist schleierhaft. Schlimme Folgen könnte es haben, wenn man aus den Augen verliert, dass es nur um die drei Wintermonate geht und Sonderlösungen für diese kurze Zeit direkt im bürokratischen Schilda enden könnten.

Nur die Wähler zählen

Die Gründe für das Verhalten der Bezirkspolitiker, das der Linie ihrer Stadtparteien diametral entgegen läuft, sind leicht durchschaubar: Ihre Wähler sind die Einwohner des Bezirks. Das sind aber in der Inneren Stadt nur mehr 16.000, ein Bruchteil der über 110.000 Unternehmen und ihrer Mitarbeiter, für die die Lebensqualität ebenfalls vom städtischen Umfeld bestimmt wird, deren andere Interessenslage aber mangels Wahlrecht wenig politisches Gewicht hat. Im Zentrum einer Großstadt wie Wien zu leben, ist ein Privileg, das auch einen Preis hat: Etwa keinen Gratisparkplatz vor der Haustüre, gelegentlich mühsame Touristenströme oder ein paar Schritte mehr um einen Schanigarten herum. Einer Diskothek im Stadtzentrum wurde auf Grund einer Flut von Anzeigen eines einzigen (!) Anrainers wegen des Lärms v o r dem Lokal die Sperrstunde durch ein VGH-Urteil von sechs Uhr früh auf Mitternacht vorverlegt und damit praktisch die Existenzfähigkeit genommen. Anrainerrechte sind natürlich zu schützen, es muss aber eine Grenze geben, ab der das Recht der Allgemeinheit auf eine gedeihliche Stadtentwicklung überwiegt. Dass einst legendäre Grinzing wurde nicht zuletzt dadurch umgebracht, dass viele Anrainer ihren Anspruch auf Nachtruhe ab 22 Uhr durchsetzten. Die Politik ist gefordert, diese Grenzen zu setzen, bevor Schanigärten Stehtischen weichen müssen.

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