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Flexibel arbeiten heißt nicht 12 Stunden täglich

Print-Ausgabe 24. März 2017

Zwölf Stunden täglich arbeiten, wenn es betriebswirtschaftlich erforderlich ist, oder die Mitarbeiter entscheiden lassen, wann und wieviel sie arbeiten wollen: Zwischen diesen extremen Positionen bewegt sich in der Öffentlichkeit die Diskussion um eine „Flexibilisierung“ der Arbeitszeit. Zum Teil hat sie bereits unrealistische Züge angenommen, die einer vernünftigen Lösung kaum zuträglich sind. Beim traditionellen Tourismus-Seminar für Medienvertreter der WKO-Bundessparte Tourismus ging es neben dem nach wie vor bedrückenden Mangel an Fachkräften auch um dieses Thema. AMS-Chef Johannes Kopf meinte, im Tourismus könnte sich eine Flexibilisierung allenfalls etwa für eine Saisonverlängerung positiv auswirken, wie in allen Branchen, die Nachfragespitzen nicht mit einer auf Lager-Produktion ausgleichen können. Grundsätzlich gehe es bei diesem Thema aber um Geld, nämlich die Zuschläge für Überstunden, und die Vereinbarkeit längerer Arbeitszeiten mit Betreuungspflichten, vor allem von Kindern. Die restriktiven Öffnungszeiten von Kindergärten – nicht zuletzt in Ferienzeiten – sind schon jetzt eine Ursache dafür, dass viele im Tourismus nicht arbeiten können, auch wenn sie das möchten.

Keine längere Wochenarbeitszeit

„In der öffentlichen Diskussion wird der Eindruck erweckt, künftig müsste jeder täglich 12 Stunden im Bergwerk schuften. Davon kann keine Rede sein“, versuchte Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner in einer ORF TV-Diskussion die verzerrte Welt wieder gerade zu richten: Im Regierungsprogramm ist nur vorgesehen, die maximale tägliche Arbeitszeit bei Gleitzeitregelung von 10 auf 12 Stunden zu erweitern, die Höchstarbeitszeit pro Woche – im Gastgewerbe 50 Stunden – soll ebenso unverändert bleiben, wie alle Zuschläge. ÖGB-Chef Erich Foglar meinte, dieser Gleitzeitlösung könnte man mit wenigen zusätzlichen Regelungen zustimmen, von den Verhandlungspartnern Kammer und Industriellenvereinigung höre man aber ganz anderes. Tatsächlich gibt es keine einheitliche Linie, vor allem von der Industrie und den gewerblichen Produktionsbranchen wird unter Hinweis auf die Konkurrenzfähigkeit eine Reduktion der Überstundenzuschläge angepeilt. Für Durchrechnungszeiträume, bei denen der Arbeitnehmer erst nach zwei Jahren erfährt, ob seine geleistete Arbeit entsprechend honorierte Überstunden waren, wird man allerdings schwer auch nur Gesprächsbereitschaft finden. Der Hinweis des Gewerkschaftschefs, es gebe über das Arbeitszeitgesetz, die Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen ohnedies sehr weitreichende Flexibilisierungsmöglichkeiten, inklusive 12 Stunden Arbeitszeit, man müsste sie nur nützen, zeigt auch den Ansatzpunkt für Kritik: Diese Lösungen sind kompliziert, vor allem für kleinere Betriebe ohne Betriebsrat. Daher wünscht sich Mitterlehner eine überschaubare, klare gesetzliche Regelung für kurzfristige Überschreitungen der Höchstarbeitszeit. Das entspricht auch den Vorstellungen der Tourismuswirtschaft: „Was wir brauchen, ist einfach mehr Toleranz“, erklärte Tourismus-Obfrau Petra Nocker-Schwarzenbacher beim Tourismus-Seminar. „Wenn eine Hochzeitsgesellschaft zwei Stunden länger sitzen bleiben will, dürfen wird nicht vor die Wahl gestellt sein, sie hinaus zu werfen oder ein paar tausend Euro Strafe wegen Überschreitung der Arbeitszeitgrenze zu riskieren“.

Gleiche Probleme in Deutschland

In Deutschland hat eine aktuelle Umfrage des DEHOGA ergeben, dass als Folge der strikten Arbeitszeitbeschränkung mehr als die Hälfte der Betriebe im Gastgewerbe die Öffnungszeiten reduziert und ihr Leistungsangebot  eingeschränkt hat. Ein Drittel hat zusätzliche Ruhetage eingeführt. Ziel der Interessenvertretung ist, statt der gesetzlich vorgeschriebenen täglichen Höchstarbeitszeit von 10 Stunden, für die es wesentlich weniger Ausnahmeregelungen gibt, als in Österreich, eine maximale Arbeitszeit von 48 Stunden pro Woche einzuführen, wie es auch die Arbeitszeitrichtlinie der EU vorsieht. Die Politik war von den negativen Auswirkungen ausreichend beunruhigt, um eine entsprechende Flexibilisierung z. B. im Koalitionsvertrag im Bundesland Baden-Württemberg vorzusehen. Bundes-Arbeitsministerin Andrea Nahles hat eine „Experimentierklausel“ im Arbeitszeitgesetz angekündigt, die es den Sozialpartnern für einen Testzeitraum von zunächst zwei Jahren erlaubt, eine Flexibilisierung der Arbeitszeit zu vereinbaren. Man sieht: andere Länder – gleiche Probleme. Und bessere Lösungen?

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