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FHWien der WKW

Wiener Märkte als Imagefaktor für die Stadt- & Tourismusentwicklung

Print-Ausgabe 12. April 2024

„Die Akteur:innen des Wandels an den einzelnen Wiener Märkten sind vielfältig“, betont Cornelia Dlabaja

Von den 27 Lebensmittelmärkten über den Flohmarkt bis hin zu Gelegenheitsmärkten ziehen sie eine steigende Zahl an Besucher:innen und auch Tourist:innen an

Der WienTourismus verzeichnete nicht nur einen Traumstart in das neue Jahr (die 2,013 Millionen Übernachtungen der ersten zwei Monate 2024 bedeuteten einen Zuwachs von 11 % gegenüber dem Vorjahr und stellten das zweit­beste Ergebnis nach Jänner/Februar 2019 dar, nur übertroffen von den ersten beiden Monaten 2020), sondern auch die Märkte in der Bundeshauptstadt boomen. Bei der jährlichen Besucherzählung der MA59 (Marktamt) wurden 2023 pro Woche 409.857 Besucher:innen gezählt, ein Zuwachs von 5,8 % gegenüber 2022.

Die Wiener Märkte stellen auch einen Attraktivierungspunkt im Bereich der Immobilienentwicklung dar. Dies ist eng mit dem Phänomen der „Gastronomifzierung“ verknüpft, sei es am Karmeliter Markt, am Naschmarkt, am Vorgartenmarkt, am Brunnenmarkt oder auch am Meidlinger Markt. „Der Frühstücker hat den Markt für sich entdeckt und bevölkert diesen vor allem am Wochenende temporär“, betont Cornelia Dlabaja, seit August 2023 Stiftungsprofessorin für nachhaltige Stadt- und Tourismusentwicklung an der FHWien der WKW. Sie beschäftigt sich seit 2008 mit der Transformation und dem Bedeutungswandel der Märkte.

Cornelia Dlabaja: „Der Gastronomifizierung voraus ging auf vielen Wiener Märkten das migrantische Unternehmertum als Akteur der Aufwertung.“ Dies hat nicht nur den Erhalt der Marktstände gewährleistet, sondern auch deren Weiterführung. Denn viele Stände wurden vormals oft von österreichischen Marktstandbetreiber:innen betrieben, die in Pension gingen und auf Grund der Höherqualifizierung der Folgegeneration keine Nachfolger:innen fanden. „Die Akteur:innen des Wandels an den einzelnen Wiener Märkten sind vielfältig“, betont Cornelia Dlabaja.

So versorgen etwa am Brunnenmarkt Unternehmer:innen aus 46 Nationen die Nachbarschaft täglich mit frischem Gemüse. In zahlreichen Stadtmagazinen werden auch die Streetfood-Stände als Geheimtipp beworben, die seit dem Syrienkrieg 2015 die kulinarische Landschaft erweitern. Eine wichtige Institution stellt die IG Kaufleute dar, die sich ehrenamtlich organisiert und etwa am Brunnenmarkt regelmäßig kulinarische Walks organisiert, bei denen die Marktstandbetreiber:innen sich und ihre Produkte präsentieren.

Zurück zum Imagewandel: Vorangetrieben wurde er auch durch Stadtteilkunstprojekte, wie SOHO in Ottakring (dessen Bezeichnung lehnt sich an das gleichnamige Künstlerviertel in New York an), die Brunnenpassage, Silo am Vorgartenmarkt oder diverse Kunstprojekte am Karmelitermarkt. Für neue Impulse sorgen aber auch die lokalen Unternehmer:innnen an den Wiener Märkten, sei es am Meidlinger Markt das Café Milchbad oder am Yppenmarkt das Café Ando.

Cornelia Dlabaja organisierte zuletzt die Outdoor-Ausstellung zum Wiener Brunnenmarkt 2022 (sie wurde in Kooperation mit dem Wien Museum und der Stabstelle Bezirksmuseen reloaded umgesetzt) sowie das Forschungsprojekt 2023 an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, das sie gemeinsam mit Robert Musil (Leiter des Instituts für Stadt- und Regionalforschung) realisierte. Dabei wurde die Transformation der Märkte im Wechselspiel mit dem Immobilienmarkt untersucht.

Cornelia Dlabaja: „Unter Gastronomifizierung wird die Transformation der Märkte hin vom Nahversorger mit Produkten des täglichen Bedarfs, wie Obst und Gemüse, Fleisch, Brot und anderen Alltagsgütern, hin zur gastronomischen Infrastruktur verstanden.“ Diese Transformation ist eng mit der Herausbildung neuer urbaner Milieus verknüpft, die ihre Mittagspause auf den Märkten verbringen oder sich am Wochenende zum Frühstücken treffen.

Ein weiterer Begriff in diesem Zusammenhang stellt das Phänomen der Touristifizierung der Märkte dar. „Dieses ist in Wien nur segmentär am Wiener Naschmarkt ablesbar“, so Cornelia Dlabaja. Touristifizierung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass urbane Ökonomien ihr Angebot verstärkt auf touristische Produkte ausrichten, seien das Souvenirshops, aber auch Süßigkeiten und spezielle kulinarische Angebote.

Fest steht, dass mit der Aufwertung der Märkte im Zuge von Stadterneuerungsprojekten und Revitalisierungsmaßnahmen diese für den Immobilienmarkt zunehmend ein interessanter Standortfaktor wurden. Es sind aber auch die lokalen Bewohnerinitiativen, wie „wir sind 12“ und „Mei Meidling“ oder die „Ini­tiative Schwendermarkt“, die sich für die Verbesserung der Grätzel in der Marktumgebung einsetzen, mittels Begrünungsmaßnahmen und Belebung der Nachbarschaft.

Die Novellierung der Wiener Marktordnung ist ein Grund, warum seit 2006 ein Drittel der Marktstände als Gastronomie geführt werden dürfen, was im Falle des Naschmarkts eine Regulierung bedeutete, da der Anteil der gastronomischen Betriebe rasant stieg. Ab Anfang der 2000er-Jahre kam es laut Cornelia Dlabaja zu einem Modernisierungsschub vieler Märkte durch Neugestaltung und Sanierung. Auch das Marktamt forciert das Image der Wiener Märkte als urbanen Knotenpunkt, da es seit 2022 jeweils Anfang September die „lange Nacht der Wiener Märkte“ als Eventformat betreibt (die 162.000 Besucher:innen im Jahr 2023 stellten eine Verdoppelung gegenüber der Premiere 2022 dar). Zu den 17 bestehenden Detailmärkten gesellen sich einige in der Pandemie als temporäre Märkte eingeführte neue Marktstandorte nun als Wochenmärkte, wie der Neubaumarkt im 7. Bezirk, der Matznermarkt in Penzing, der Alszeilenmarkt in Hernals und der Servitenmarkt, .

Die Wiener Märkte sind mittler­weile ein Image- und Standortfaktor für die Stadtentwicklung. Ebenso spielen sie für den Tourismus eine bedeutende Rolle. So sind 2024 einige Märkte Teil des WienTourismus-­Jahresthemas 2024 „Heartbeat Streets“. Dieses bringt internationale Besucher:innen der Visitor Economy Strategie folgend weg vom Stadtzentrum in die Grätzeln der Stadt, um zu entzerren und das Image von Wien als Tourismusdestination zu diversifizieren.

Die Bedeutung der Märkte ist übrigens ein Thema, dem sich die Studierenden des Masterstudiengangs „Urban Tourism & Visitor Economy Management“ im Sommersemester 2024 im Rahmen des von Daniela Wagner und Cornelia Dlabaja geleiteten Seminars „Tourism Futures“ widmen. Dabei werden fünf der elf Grätzel untersucht, die Teil des „Heartbeat Streets“-Jahresthemas sind, und Perspektiven sowie Bedürfnisse lokaler Akteur:innen aufgearbeitet. Berücksichtigt werden die Interessen der Unternehmer:innen, Bewohner:innen, der Interessensvertreter:innen und jene der Bezirksvertretung.

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