ITA Airways Privatisierung

„Grande Casino“ oder toller Plan? Heißes Spiel um Italiens Airline-Karten

Print-Ausgabe 18. Februar 2022

Gianluigi Aponte von MSC (l.) und Alfredo Altavilla von ITA Airways könnten künftig von vielen Synergie-Effekten profitieren


 

Wieso will MSC groß bei ITA Airways einsteigen? Weshalb ist Lufthansa mit von der Partie? Welche Rolle spielt Air France-KLM? T.A.I. liefert die Antworten

Die geplante Privatisierung von Italia Trasporto Aereo (ITA Airways), der Mitte Oktober 2021 gestarteten Alitalia-Nachfolgerin, ist in ihre entscheidende Phase getreten. Anfang Februar erteilte Italiens Finanzminister Daniele Franco mittels DPCM (Decreto del presidente del Consiglio) die Genehmigung zur Eröffnung des Verkaufsverfahrens. Damit erhalten Interessenten für 90 Tage Zugang zum „Datenraum“, der Einblicke in die von ITA Airways Chairman Alfredo Altavilla – der ehemalige Fiat-Chrysler-Spitzenmanager gilt als einer der angesehensten Manager Italiens – und CEO Fabio Lazzerini – er war früher Amadeus-, Emirates- und Alitalia-Manager – ausgearbeiteten aktuellen Zahlen und Businesspläne verschafft.

Als Favorit für den Kauf gilt das Konsortium aus Mediterranean Shipping Company (MSC) und Lufthansa, dessen Interesse an einer Mehrheitsbeteiligung (Italien will vorerst eine Beteiligung in der Höhe von 15 bis 20 % behalten) Ende Jänner 2022 bekannt gegeben wurde. Der Wert von ITA Airways wird auf 1,2 bis 1,4 Mrd. Euro geschätzt. Zu den wichtigsten Assets zählen Slots an den Flughäfen Rom-Fiumicino, Mailand-Malpensa (Langstrecke) sowie Mailand-Linate (Kurzstrecke). Wieviel MSC und Lufthansa letztendlich zu zahlen bereit sind, wird im Rahmen einer Due-Dilligence-Prüfung entschieden.

Über weitere Interessenten hält sich Finanzminister Franco vorerst bedeckt. Es gebe auch keinen Zeitplan für den Verkauf. Fix sei lediglich, dass sich ITA bis 30. Juni 2022 entscheiden muss, ob sie in der Allianz SkyTeam (Delta Air Lines, Air France-KLM etc.) verbleibt. Würde das Konsortium MSC und Lufthansa den Zuschlag erhalten, müsste ein Wechsel zur Star Alliance erfolgen, mit Lufthansa und United als stärksten Partnern.

Air France-KLM hat bislang offiziell jegliches Interesse dementiert, denn Frankreichs Flagg-Carrier sind die Hände gebunden: Vor einer möglichen Offertlegung müsste sie laut EU-Recht 3,5 Mrd. Euro der vom Staat erhaltenen 4 Mrd. Euro Covid-Hilfen zurückzahlen. Indirekt ins Spiel gebracht hat sich Air France-KLM allerdings schon. So wurden gezielt Gerüchte gestreut, dass es Geheimgespräche mit MSC gegeben habe. Ebenso wird auf eine „ausgezeichnete Beziehung zwischen Frankreichs Präsident Emanuel Macron und der italienischen Regierung“ verwiesen. Macrons Wiederwahl im April 2022 ist allerdings noch ungewiss. Air France-KLM versucht jetzt zumindest, über ihren US-amerikanischen Partner Delta im Spiel zu bleiben: Delta hält 5,8 % an Air France-KLM und bekundete Italiens Regierung das Interesse.

Zurück zum Zeitplan: Ende Jänner wurde noch der 30. März 2022 als Datum für einen möglichen Verkaufsabschluss genannt. Dies würde dem Staat 400 Mio. Euro einsparen, der dann die nächste Finanzspritze in dieser Höhe an ITA leisten müsste. Sollte der Kauf bis dahin fixiert sein, wäre diese Refinanzierungs-Last der Airline auf die Käufer übergegangen.

Wie dem auch sei: Ein Verkauf muss noch von der EU-Kommission sowie den Kartellbehörden aller beteiligten Länder genehmigt werden, vor allem hinsichtlich der Auswirkungen auf Passagierverkehr, Fracht sowie Charter. Womit ein entscheidender Punkt des möglichen Einstiegs von MSC und Lufthansa angeschnitten wird: Jene der möglichen Synergien der 2021 zur weltweiten Nummer 1 aufgestiegenen, im Besitz der Familie Gianluigi Aponte befindlichen Cargo-Reederei (645 Schiffe), dem Lufthansa Konzern und ITA Airways.

Umsatzzahlen gibt die italienisch-schweizerische MSC keine bekannt, aber als Richtmaß gelten jene ihres nahezu gleich großen dänischen Mitbewerbers A.P. Moller-Maersk: Dessen Einnahmen stiegen 2021 um 55 % auf 61,8 Mrd. US-Dollar, der Vorsteuergewinn (EBIT) erreichte rund 19,7 Mrd. US-Dollar, fast fünfmal so viel wie 2020. Geld dürfte im Aponte-Unternehmen also mehr als ausreichend vorhanden sein.

Mit der angestrebten Akquisition von ITA folgt MSC dem Trend, als Container-Reederei auch im Airline-Cargo Fuß zu fassen. So kaufte A. P. Moller-Maersk 2021 die deutsche Spedition Senator International, um ihr Luftfrachtgeschäft auszubauen, und die weltweite Nummer 4, Frankreichs CMA CGM, gründete eine eigene Air Cargo Gesellschaft mit vier Airbus A330-200 Frachtern sowie einem Order von vier Airbus A350F. Die Reedereien versuchen damit, zusätzliche Bereiche der Lieferketten abzudecken und das Air Cargo als Alternative für zeitkritische Fracht zu nutzen.

Was MSC diesbezüglich fehlt, ist Knowhow in der Luftfahrt, und über das verfügt Lufthansa. Ihr Gewinn (adjusted EBIT) im Geschäftsfeld „Logistics“, dessen Umsatz in den ersten drei Quartalen 2021 um 33 % stieg, dürfte sich im Vorjahr auf 1,29 Mrd. Euro fast verdoppelt haben. Umgekehrt ist auch das Interesse von Lufthansa an Italien nicht neu: 2008 führte sie mit „Lufthansa Italia“ eine eigene Marke ein, die dann mangels Erfolgs Ende Oktober 2011 eingestellt wurde. Bleibt als derzeit einzige Italien-Tochter die Regionalfluggesellschaft Air Dolomiti, die seit 2003 zu 100 % Lufthansa gehört.

Wie stehen die Chancen auf eine Realisierung des MSC-Lufthansa-Plans? Dem Vernehmen nach ist Italiens Ministerpräsident Mario Draghi dem von Alfredo Altavilla entwickelten Plan gegenüber aufgeschlossen. Auch die wichtigsten Minister billigen das Vorhaben. Tourismusminister Massimo Garavaglia spricht sogar von einem „schönen Coup“.

ITA Airways verfügt aktuell über eine Flotte von 55 Jets (A319, A320 sowie A330). Fix bestellt sind sechs Airbus A350 XWB. Die Flotte soll heuer um 50 % auf 78 Flugzeuge anwachsen und bis 2025 die Größenordnung von 105 Flugzeugen erreichen. Zum Vergleich: Die Alitalia-Flotte bestand zuletzt aus 78 Maschinen, vor der Pandemie 2020 waren es 113. Rund um die geplante ITA-Expansion wurden noch im Dezember 2021 bei Airbus 28 Flugzeuge bestellt.

Der ITA Airways-Start war allerdings wenig erbaulich: Im Rumpfjahr zwischen dem 15. Oktober und dem 31. Dezember 2021 verzeichnete sie mit 1,26 Millionen Passagieren einen Umsatz von nur 86 Mio. Euro (geplant waren 173 Mio. Euro), wobei ein negatives EBIT von -170 Mio. Euro angefallen war. Damit knüpfte sie dort an, wo Alitalia aufhörte: Mit roten Zahlen. Alitalias Umsatz 2019 erreichte 3,1 Mrd. Euro, der Verlust (EBIT) lag bei -443 Mio. Euro. Im ersten Corona-Jahr 2020 brach der Umsatz dann um 66 % auf 1,1 Mrd. Euro ein, das EBIT erreichte -464 Mio. Euro – ein Klacks im Vergleich zu den fast 10 Mrd. Euro, die das Unternehmen laut einem Bericht der Mediobanca Italien in den letzten 50 Jahren gekostet hat sowie den rund 3 Mrd. Euro (1,35 Mrd. Euro Anfangskapital sowie Kreditlinien über 1,6 Mrd. Euro für Flugzeug-Leasing), mit denen das Abheben von ITA ermöglicht wurde.

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