Print-Ausgabe 7. Oktober 2016
Airberlin wird dreigeteilt, Brussels geschluckt, Eurowings verdoppelt, NIKI wird Teil einer Super-Leisure-Holding und Austrian zündet Investitions-Feuerwerk
Die letzte Septemberwoche 2016 wird als ein bemerkenswertes Kapitel in Europas Luftfahrt eingehen. In Belgien, Deutschland und Österreich erfolgten wichtige Weichenstellungen, welche die Airline-Welt in diesen Ländern und zum Teil darüber hinaus verändern wird. Involviert sind mit Lufthansa der viertgrößte Airline-Konzern der Welt, mit Etihad einer der „Big-Three“ der Golf-Region, mit Airberlin der zweitgrößte Carrier Deutschlands sowie die Muttergesellschaft von Österreichs NIKI. Zusätzlich betroffen sind Brussels Airlines, Eurowings sowie – last but not least – Austrian Airlines. Fünf Aspekte ragen dabei heraus:
Neuaufstellung der Airberlin
Hier wird ein längst überfälliger Schritt gesetzt. Die Airline war in ihrer bisherigen Form nicht mehr sanierbar. Wie berichtet, folgte dem Rekordverlust von 2014 in Höhe von -293,8 Mio. Euro trotz aller Sanierungsbemühungen von CEO Stefan Pichler ein noch höherer Rekordverlust in 2015 von -307 Mio. Euro. Im ersten Halbjahr wurde das Minus nochmals um ein weiteres Drittel größer.
Jetzt wird Airberlin in drei Teilbereiche gegliedert, wobei die Airline als kompakter Netzwerk-Carrier mit einer Flotte von 75 Flugzeugen (darunter 17 Airbus A330-200) über die zwei Drehkreuze Berlin und Düsseldorf bzw. einem starken Fokus auf die Langstrecke Richtung Nordamerika agieren wird. Damit kann AB die von Etihad (mit 29,21 Prozent größter Aktionäre von Airberlin) zugewiesene Rolle weit besser ausfüllen, als bisher. Gleichzeitig kommt es zu einem Personalabbau von bis zu 1.200 der zuletzt knapp 8.900 MitarbeiterInnen.
Mit ihrer künftigen Größe entspricht Airberlin „neu“ ca. jener von Finnair (72 Maschinen, darunter 18 Airbus Langstreckenjets der Typen A330 und A350). Der Finnair Langstrecken-Schwerpunkt liegt allerdings mit 17 Zielen auf Asien.
Eurowings als Nummer 3
in Europa
Von den nicht mehr benötigten A319- und A320-Jets der Airberlin wandern 35 in Form eines Wetlease (ACMI, Aircraft, Crew, Maintenance and Insurance) an die Low Cost-Tochter der Lufthansa, Eurowings (weitere fünf gehen an Austrian Airlines, siehe „Next Level Austrian“). Die Flugzeuge bleiben im Eigentum der Airberlin, welche auch die Cockpitcrews stellt. Der Vertrag muss noch ausverhandelt und der Deal kartellrechtlich genehmigt werden. Die Kooperation ist vorerst auf sechs Jahre begrenzt. Für Airberlin bedeutet dies ein neues Geschäftsfeld.
Die Eurowings-Flotte wächst dadurch ab Ende März 2017 von aktuell 90 auf dann 125 Maschinen an, womit sie Norwegian als bisherige Nummer 3 hinter Ryanair (387 Flugzeuge) und Easyjet (266 Maschinen) überholt (Norwegian kommt derzeit auf 102 Boeing 737-800 und elf Boeing 787 „Dreamliner“).
Noch nicht festgelegt ist, ob einige der neuen Jets zu Eurowings-Europe nach Österreich wandern. Fix ist hingegen, dass mit Palma de Mallorca ein weiterer Eurowings-Hub entsteht, womit die Lufthansa-Tochter in die dortigen Fußstapfen der Airberlin tritt.
Für weiteres Eurowings-Wachstum sorgt die ebenfalls Ende September abgesegnete Komplettübernahme von Brussels Airlines per Anfang 2017 durch Lufthansa, die seit 2008 bereits 45 Prozent hält. Ob es zu einer kompletten Eingliederung von Brussels in Eurowings kommen wird, oder ob dies nur für den Punkt-zu-Punkt Verkehr in Europa mit einer Kernflotte von 30 Jets der A320-Familie geschieht, wird sich weisen. Der Grund liegt in der Langstrecke von Brussels.
Brussels Langstrecke
Denn deren Langstreckenbereich (neun Airbus A330) ist für eine Eingliederung in Eurowings kaum geeignet. Anders als die auch in der Ferne auf touristische Ziele fokussierte Eurowings gilt Brussels als auf Geschäftsreisen ausgerichteter Afrika-Spezialist (17 Destinationen). Sie bedient auch in Nordamerika mit New York, Washington und Toronto Business-Ziele sowie ab März 2017 in Indien Mumbai.
Aus diesen Gründen ist die Langstrecke von Brussels Airlines im Premium-Bereich angesiedelt und wurde erst im Juli durch Einführung einer Premium Economy Class zusätzlich aufgewertet. Die Business Class ist mit Lie-Flat Beds ausgestattet. Die Brussels-Langstrecke könnte somit – ebenso wie einige ausgewählte Europa-Strecken – weiter unter der Marke Brussels verbleiben.
Leisure Holding mit
TUIfly und NIKI
Bleiben als dritter Teil der Airberlin-Neustrukturierung einerseits jene 14 Boeing 737, welche TUIfly seit Winter 2009/10 im Wetlease für Airberlin betreibt (dieser Vertrag läuft noch bis 2019), anderseits Österreichs NIKI (19 Jets der A320-Familie). Beides soll laut TUIfly Aufsichtsratschef Henrik Homann unter das Dach einer TUI-Ferienflugholding wandern. Diese wäre Teil jener Leisure Airline-Holding, in der alle Fluggesellschaften des TUI-Konzerns zusammengefasst werden sollen, angefangen von TUIfly über Thomson Airways, TUIfly Nordic, Jetairfly sowie ArkeFly. Zusammen mit NIKI brächte es diese Super-Leisure-Holding auf 155 Flugzeuge und einen Jahresumsatz von rund 5 Mrd. Euro. Sie wäre eine der 30 größten Airline-Konzerne der Welt.
NIKI könnte in dem Szenario ihre Eigenständigkeit behalten. Denn angesichts der zahlreichen Konzern-fremden Reiseveranstalter, die für eine hohe NIKI-Auslastung sorgen (angefangen von Thomas Cook über ITS Billa und FTI bis ETI), wäre ein Branding auf TUIfly kontraproduktiv.
Doch alle diesbezüglichen Pläne sind noch nicht ausgegoren. Vorerst wurde der TUIFly-Aufsichtsrat über das Vorhaben bezüglich Airberlin und NIKI lediglich informiert. Am 26. Oktober tagt der TUI-Konzernaufsichtsrat, dort soll das Thema auf die Tagesordnung kommen.
„Next Level Austrian“
Womit wir bei Austrian Airlines sind. Deren Expansions- und Innovations-Feuerwerk sowie „good news“ rund um ihre wirtschaftliche Entwicklung im heurigen Jahr sind in dem Medien-Wirbel rund um Airberlin/Lufthansa/Brussels/Eurowings/TUIfly/NIKI fast untergegangen. Zu Unrecht, denn was sich derzeit rund um das Projekt „Next Level Austrian“ tut, kann nach Jahren größter Schwierigkeiten geradezu als sensationell bezeichnet werden:
• Ab Ende 2016 werden alle Maschinen der A320-Familie mit Internet an Bord ausgestattet (Gebührenmodell steht noch nicht fest). Die Investition bewegt sich im mittleren einstelligen Millionen Euro-Bereich.
• Ebenso bis Jahresende 2016 stoßen zwei Airbus 320 zur Flotte, die im Nachbarschaftsverkehr mit Deutschland eingesetzt werden, der zur Gänze von LH zu OS wandert. Die beiden Flugzeuge werden von der Lufthansa Gruppe für acht Jahre angemietet und stellen inklusive Umbaukosten einen Investitionswert von rund 50 Mio. Euro dar.
• Im Frühjahr 2017 werden weitere fünf A320-Jets von Airberlin im Wetlease übernommen, also inkl. Crew, Wartung und Versicherung. Dies wird an die 40 Mio. Euro pro Jahr kosten. Welche Strecken damit beflogen und neu aufgenommen werden, muss erst entschieden werden.
• Am 25. Oktober 2017 starten für den Winterflugplan 2017/2018 Saison-Langstreckenflüge auf die Seychellen.
• 2018 wird auf allen Langstreckenflügen die Premium Economy eingeführt (gleicher Sitz wie Lufthansa), 18 kommen in die B767 und 24 Sitze in die B777. Die Gesamtinvestition beläuft sich auf rund 15 Millio-
nen Euro.
• Im Frühjahr 2018 kommt zudem die langersehnte zusätzliche „Tripleseven“, gebraucht zwar (Investition inkl. Umbaukosten ca. 60 Mio. Euro), aber damit kann das Langstrecken-Netz künftig um weitere Ziele wachsen, ohne dass bestehende Strecken eingestellt werden müssen.
Alles zusammen stellt das für Austrian Airlines ein Investitionsvolumen von mehr als 160 Millionen Euro war. Doch noch in diesem Herbst fallen die Würfel für weit Größeres: Es geht um die Entscheidung über die künftige Langstreckenflotte, denn die bestehende muss ab 2020 durch Nachfolgemodelle abgelöst werden. Austrian CEO Kay Kratky spricht von einer Investition jenseits der 1 Mrd. Euro.
Möglich macht all dies der nachhaltig gute Geschäftsgang. Laut Austrian CFO Heinz Lachinger wird heuer das Vorjahresergebnis (54 Millionen Euro) deutlich übertroffen werden. Das öffnet zwar kein bemerkenswertes Kapitel in Europas Luftfahrt, aber mit Sicherheit in jener von Österreich.
Erstellt am: 07. Oktober 2016
Forcieren das Projekt „Next Level Austrian“ (v.l.): CFO Heinz Lachinger, CEO Kay Kratky und CCO Andreas Otto
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