ANA
AGES-Analysen der Neuinfektionen

Was ist alles „reiseassoziiert“? Verunglimpfte Branche, (k)eine Antwort

Print-Ausgabe 20. August 2021

Elisabeth Kneissl-­Neumayer fordert eine Relativierung der hohen Zahl an „reiseassozierten“ Neuinfektionen (Foto: © Kneissl Touristik)


 

Eine orf.at-Meldung sollte bei den Vertretungen die Wogen hoch gehen lassen, tut sie aber nicht – auf die Mail der Kneissl Touristik-Chefin zeigte man sich im Beantworten eher verhalten

 

Elisabeth Kneissl-Neumayer, Chefin des StudienErlebnisReisen-­Veranstalters Kneissl Touristik, gilt als resolute Touristikerin. So auch am Samstag, den 7. August. Ihre morgendliche Laune verdorben hatte die Meldung auf orf.at, der zufolge „knapp 40 % aller Neuinfektionen reiseassoziiert“ wären. Dies gehe, so der ORF, aus der „aktualisierten epidemiologischen Covid-19-Abklärung der Agentur für Ernährungssicherheit und Gesundheit (AGES) hervor.“

Umgehend setzte sich Elisabeth Kneissl-Neumayer an den Com­puter und schrieb eine geharnischte E-Mail an den Fachverbands­obmann der Reisebüros Gregor Kadanka, an die Fachgruppe OÖ der Reisebüros sowie an das Sozialministerium: „Gibt es bitte jemanden mit einem ‚Draht‘ zu Entscheidungsträgern im Sozialministerium, wo man das für Pauschalreisen relativieren kann?“ Denn „ordentliches Reiseveranstalten (was alle KollegInnen und Mitbewerber in Österreich machen) ist unser Leben und unsere Leidenschaft. Und eigentlich immer noch der Arbeitsplatz für viele, viele Tausende ÖsterreicherInnen.“

Die der ORF-Meldung zugrunde liegende AGES-Analyse bezog sich auf die Woche von 26. Juli bis 1. August (KW 30). Von den damaligen Neuinfektionen waren demnach 39,3 % reiseassoziiert. „Insofern nicht erstaunlich, als der Großteil der Bevölkerung im Hochsommer auf Urlaub geht“, zog der ORF seine Schlussfolgerung, um gleich darauf festzuhalten: „Allerdings haben in den beiden unmittelbar vorangegangenen Wochen Reisen nur mit 16,9 % (Kalenderwoche 29) bzw. 15,8 % (Kalenderwoche 28) zum Infektionsgeschehen beigetragen.“

Für des Rätsels Lösung sorgte Elisabeth Kneissl-Neumayer in ihrer E-Mail: „Ich gehe davon aus, dass Zrće einen großen Anteil hier hatte – aber das ist nicht die Pauschalreise, die viele meinen und die wir veranstalten.“

Zur Info: Von 16. bis 23. Juli fand am Strand Zrće unweit der Stadt Novalja auf der Insel Pag das von ÖsterreicherInnen veranstaltete „Festival Austria goes Zrce“ statt. Dem Tourismusbüro in Novalja zufolge waren während der Woche etwa 5.000 ÖsterreicherInnen vor Ort. Laut Gesundheitsministerium stieg die Zahl der dort erfolgten und nach der Rückkehr nach Österreich schlagend gewordenen Infektionen bis Ende Juli auf über 300. In die besagte AGES-Analyse flossen diese Zahlen unter dem Oberbegriff „Reise“ ein, wodurch sich dessen Werte mehr als verdoppelten. Elisabeth Kneissl-Neumayer: „Mir ist schon klar, dass auch Spanien-­Reisende oder Zypern-Reisende Viren heimbringen können. Aber wenn ‚reiseassoziiert‘, dann muss es doch auch eine Auflistung der Länder geben, aus denen Reisende das Virus bevorzugt heimbringen.“

Eine T.A.I.-Nachfrage bei der Kneissl Touristik-Chefin Anfang dieser Woche ergab, dass – bis auf eine allgemein gehaltene Antwort des Sozialministeriums Mitte dieser Woche („Es ist uns derzeit leider nicht möglich, auf einzelne Fragestellungen im Detail einzugehen“) –  bislang keine der angesprochenen Institutionen auf ihre E-Mail reagiert hat. T.A.I. hat sich deshalb die zuletzt am Dienstag dieser Woche aktualisierte AGES-Analyse näher angesehen. Ergebnis: Die reiseassoziierten Neuinfektionen sind wieder auf einen Wert von 25 % zurückgefallen.

Interessant ist darüber hinaus die Betrachtung eines längeren Zeithorizontes der AGES-Zahlen. Daraus geht hervor, dass das Trio Haushalt, Reisen und Hotel-Gastro wie eine Art von kommunizierenden Gefäßen funktioniert: Steigt das eine, sinkt das andere. Je mehr die ÖsterreicherInnen unterwegs sind, desto mehr verlagert sich das Infektionsgeschehen von den eigenen vier Wänden (weiterhin der mit Abstand größte Infektionsherd) nach außen. Im Durchschnitt sorgt das Trio Haushalt (zuletzt 46 %), Reisen (25 %) und Hotel-Gastro (13,9 %) zusammen für 73,3 % des Infektionsgeschehens. Ausreißer nach oben war die genannte Zrće-­Woche (81,9 %).

Aber zurück zu Elisabeth Kneissl-­Neumayer und ihrer E-Mail über den orf.at-Beitrag: „Dieser Artikel verunglimpft unsere Branche wieder einmal. Wir tun alles, damit wir einfach ehrlich und ordentlich arbeiten können. Dann dieser ‚Morgen­gruß‘ von orf.at ...“ 

Was die Kneissl Touristik-Chefin darüber hinaus stört, ist die Nicht-Planbarkeit für Reiseveranstalter: „Wir kämpfen mit einer Überzahl von Ländern, in die man nicht einreisen kann und darf, mit steigenden Inzidenzen in Europa, mit Hitze in Südeuropa, mit Bränden in Griechenland, Bulgarien und der Türkei.“

Das jüngste Beispiel stammt von Anfang dieser Woche: Die Rückreise nach Österreich aus Südafrika ist jetzt mit 3G-Nachweis zulässig, wobei man sich zusätzlich registrieren und für 10 Tage in Quarantäne begeben muss. Aus Eswatini, das zwischen Südafrika und Mosambik liegt, ist die Einreise nach Österreich untersagt. Auch nach Namibia (7-Tages Inzidenz 52,8) darf man nicht, nach Botswana schon (obwohl mit 493,7 weit höhere Inzidenzen) und nach Simbabwe (21,8) nicht. Kneissl-Neumayer: „Bei uns geht sich bei dieser Lage nichts aus – weil die KundInnen Programme buchen, die man selbst schwer nachfahren kann, wir (Kneissl Touristik) aber extrem erlebnisreich durchführen.“

Genug des Ärgers. Elisabeth Kneissl-­Neumayer ist – wenn diese Zeilen erscheinen – auf dem Weg nach Kenia: „Ich schaue es mir erstmals als reines Safariland an, inklusive Klarinettenkonzert von Mozart und (dem Karen Blixen-Roman) ‚Out of Africa‘ in der Tasche.“ Vielleicht wird sie bei ihrer Rückkehr im Outlook-Posteingang die eine oder andere Antwort auf ihre E-Mail rund um die orf.at-Meldung vorfinden. 

Kommentar schreiben

Bitte die Netiquette einhalten. * Pflichtfelder

Nach oben