ANA
T.A.I. Exklusiv-Interview

Vertrauen und Beratung zählen! „Das Reisebüro ist wichtiger denn je!“

Print-Ausgabe 9. Oktober 2020

Er ist als Mehrfach-Geschäftsführer bei Unternehmen der RT/Raiffeisen Touristik Group in Deutschland und Österreich fix verankert: Patrik Weitzer. Er ist dadurch mit den Herausforderungen von Reiseveranstaltern und -vertrieb dies- und jenseits der Landesgrenzen so gut vertraut wie kaum jemand anderer. T.A.I. bat ihn aus aktuellem Anlass – neuer Agenturvertrag sowie seit kurzem im Firmenbuch veröffentlichter Jahresabschluss 2019 – zum Interview. Es ging um heikle Themen, wie Direktinkasso, Fixkostenzuschuss oder Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Touristik.

T.A.I.: Sie können aufgrund Ihrer Geschäftsführer-Tätigkeiten in Österreich und Deutschland die Auswirkungen der Corona-­Hilfspakete für die Touristik in beiden Ländern gut überblicken. Was läuft da wie dort gleich und wo gibt es spürbare Unter­schiede?

Weitzer: „Wir müssen die Entscheidungen aus Brüssel zum Fixkostenzuschuss II abwarten. Dies ist essenziell wichtig für die Reisebüros und Veranstalter in Österreich. Wird dies positiv entschieden, so sehe ich eine Zukunft für die Branche. Wenn dies scheitert, dann wird es ein Massensterben der österreichischen Touristik geben. Das kann niemand wollen, denn hier steht auch der Konsumentenschutz am Spiel. Die Leute würden dann verstärkt im Internet buchen müssen und hier sitzen viele Portale nicht in der EU und achten nicht auf Beratung und Qualität. Das wäre neben der Arbeitslosigkeit fatal. Deutschland hat gute, wenig bürokratische Hilfen für die betroffenen Branchen umgesetzt. Man kann z. B. die Kurzarbeit langfristiger beantragen. Wie gesagt, ein Vergleich ist nur dann möglich, wenn wir wissen, wie es mit dem Fixkostenzuschuss II ausgeht.“ 

T.A.I.: Ein Vergleich ist bezüglich Direktinkasso möglich, das in Deutschland bereits gelebte Praxis ist. In Österreich wollen die großen deutschen Veranstalter ebenfalls dazu übergehen. Sie kennen beide Systeme. Weshalb setzen Raiffeisen Reisen und GEO Reisen als Veranstalter hierzulande weiterhin auf Agentur­inkasso? 

Weitzer: „Wir setzen – um genau zu sein – auf Reisebüroinkasso. Österreich funktioniert als Markt gänzlich anders als Deutschland. Ich habe tagtäglich den direkten Vergleich im Handling und in der Krise hat sich das Reisebüro­inkasso bewährt. Wir haben große Unterschiede bei dem Anteil verbundener Reise­leistungen, dem Gutscheinbestand, den Prozessen in der Abwicklung und der Service-­Entgelt-Durchdringung. Das alles wird in der aktuellen Diskussion gänzlich ignoriert. Direktinkasso ist in Österreich nicht nötig.

Verstehen kann ich, dass wir das Thema „Solvenz der Vertriebs­stelle“ besprechen müssen, aber dies gilt auch für den Veranstalter. Die Reisebüros leiden in Deutschland nach wie vor an der Thomas Cook-Insolvenz, in Österreich ist das gerade wegen dem Reise­büroinkasso auch für die KundInnen viel besser ausgegangen. Jetzt brauchen wir Stabilität und Wiederaufbau, daher beteiligen wir uns nicht wesentlich an der Diskussion – wir werden ausschließlich Veranstalter unterstützen, die die Branche nicht entzweien und an alten Erfolgsfaktoren festhalten.“ 

T.A.I.: Wie sieht es da mit der FTI Touristik aus? Der Mehrheitsgesellschafter der RV Touristik bzw. der RT/Raiffeisen Touristik Group Samih Sawiris ist ja bekanntlich auch dreiviertel Eigentümer der FTI Touristik, die in Österreich ab 1. November 2020 ebenfalls Direktinkasso anbieten will …

Weitzer: „Soweit mir bekannt, bietet FTI ein Wahlmodell an. Direktinkasso hat es ja immer gegeben, wenn z. B. Reisebüros finanziell gewackelt haben. FTI hält am System Reisebüroinkasso fest und das schätzen wir sehr. FTI sitzt mit einer sehr guten österreichischen Truppe in Linz und ich finde umso mehr muss man das klare Bekenntnis von AlexanderGessl nun im stationären Vertrieb belohnen! Ich glaube FTI hat längst erkannt, dass man mit Stabilität und Verlässlichkeit punkten kann. Wenn dem am Ende so ist, dann wird man hier stark profitieren.“ 

T.A.I.: Stichwort profitieren: Besteht die 12 Prozent Mindestprovision nur für die Marke Best4Travel? 

Weitzer: „Nein, auch für GEO – Raiffeisen Reisen und Austrian Cruise Center-Produkte inklusive Flug! Bei Best4Travel kann man aber als einzige Marke ontop bis auf 14 Prozent durch aktiven Verkauf kommen.“ 

T.A.I.: Nochmals zu den Provisionen: Ihren Aussagen zufolge ist der Umstand, dass dem Reise­büro selbst im Falle eines späteren Kundenstornos die volle Provision bleibt, ein „absolutes Novum in Österreich“. Gilt das nur für Best4Travel oder für alle Ihre Veranstaltermarken? Und wie lässt sich das in Ihrem Unternehmen betriebswirtschaftlich rechtfertigen?

Weitzer: „Es gilt für alle Marken und alle Produkte. Es war übrigens der einfachste Punkt im neuen Vertragsmodell. Das könnte jeder umsetzen. Hier liegt es nur am Willen, und dass man die Leistungen im Reisebüro als nicht refundierbare Arbeit anerkennt! Am Ende bezahlen das die KundInnen über die Stornogebühren. Anderes ist schwieriger, z. B. höhere Provisionen. Aber mit viel Willenskraft ist auch das lösbar.“

T.A.I.: Seit Ende 2019 bietet die Raiffeisen GEO-Gruppe in Österreich für Reisebüros das QualityPlus-Mehrwertpaket an. Wie wurde das Produkt bisher angenommen und was erwarten Sie dafür 2021?

Weitzer: „In Österreich wurden damit seit Einführung knapp 40.000 Gäste abgesichert. Viele wurden bei den Airline-Pleiten in der Zeit auch entschädigt. Es geht ganz einfach und wir nehmen zunehmend Partner auf. Man kann im neuen Agenturvertrag Q+ einzeln ohne Verpflichtungen abschließen und wir haben eine Infoseite dafür eingerichtet (www.travel-services.at/qualityplus-partner). Unsere Erfahrungen sind sehr gut, wir setzen dadurch unsere Serviceentgelte besser um und konnten sie auch erhöhen. Ansehen sollte man sich Q+ in jedem Fall – ich glaube die meisten wissen immer noch zu wenig über diese Möglichkeit.“ 

T.A.I.: Wie schätzen Sie die weitere Zukunft ein? Im Lagebericht vom Raiffeisen Reisen-Jahres­abschlusses 2019 – er datiert mit Ende April 2020 – gingen Sie davon aus, dass auch 2021 eine zurückhaltende Nach­frage besteht. Können Sie das mit Stand heute bereits näher konkretisieren? 

Weitzer: „Wir haben die Bilanz im März abgeschlossen. Damals konnten wir das ganze Ausmaß noch nicht einschätzen und planen 2021 nun sehr vorsichtig. Unser Weg ist es, dass wir alle Beihilfen und die Kurzarbeit nützen, um eben keine Schließungen und Kündigungen aussprechen zu müssen. Ich glaube jeder hat im Management diese Verantwortung und wir dürfen es uns nicht zu einfach machen. Werden zu viele Reisebüros geschlossen, werden wir später noch schwerer Fach­kräfte an den Job heranführen und noch mehr KundInnen an andere Vertriebswege verlieren. 

Das österreichische Reisebüro ist wichtiger denn je. Nur hier findet wahrer Konsumentenschutz statt und Sicherheit ist das einzige, was derzeit Buchungen bringt. Das müssen auch die Veranstalter endlich verstehen und nicht mit Direktvertrieb liebäugeln oder altbewährte Erfolgsfaktoren in Frage stellen. Wenn das nicht verstanden wird, dann muss man selbst mehr produzieren. Die KundInnen werden dem Reisebüro weiterhin gehören, weil hier Vertrauen und Beratung gewährleistet ist. 

T.A.I.: In besagtem Geschäfts­bericht wurde u. a. auch festgehalten, dass sich das Austrian Cruise Center (ACC) „deutlich über den Erwartungen“ entwickelte. Seit Corona liegt der Kreuzfahrtbereich quasi am Trockendock. Was bedeutet das für das ACC? Und wann rechnen Sie mit einer Erholung der Seereisen?

Weitzer: „Wir werden das Austrian Cruise Center zum wichtigsten Partner am Markt ausbauen. Hier sehen wir trotz der Kreuzfahrtkrise gute Chancen. Vorteil ist, dass das ACC immer noch in der Gründungsphase ist und wir bei den Marktanteilen stark wachsen. Hier investieren wir stark und sind einer der wichtigsten Partner der Reedereien für den Wiederaufbau.“ 

T.A.I.: Gestatten Sie zum Schluss noch einen Blick in die Kristallkugel: Wie wird sich Ihrer Meinung nach Österreichs Touristik Ende 2021 präsentieren? Wo soll bzw.wird die Raiffeisen GEO-Gruppe dann stehen? 

Weitzer: „Ich glaube, dass die Branche schon vor der Corona-Pandemie eine wesentliche Bereinigung und Sanierung erledigt hat. Die österreichische Touristik hat sich modernisiert und ich finde, viele Hausaufgaben wurden in den letzten Jahren gut gemeistert. Das ist eine gute Basis für die Zukunft! Die zentrale Aufgabe ist es nun, dass wir mehr ausbilden, die Vorteile des österreichischen Reisebüros klarer benennen und selbstbewusster werden. Wir sind schon gut.

Natürlich wird es eine weitere Bereinigung geben, aber ich hoffe keine allzu große, denn alle KundIn­nen, die in einem Reisebüro buchen, sind KundInnen, die wir alle haben. Diese Tradition darf nicht verloren gehen! Die Corona-­Krise wird vergehen und ich bin überzeugt, dass das Reisebüro in Österreich am Ende profitieren wird. Ich kann nur die Veranstalter aufrufen, selbstbewusster für die österreichischen Besonderheiten in den Konzernzentralen zu argumentieren – es wird sich lohnen und wir brauchen uns nun gegenseitig! Unseren Unternehmen wünsche ich, dass alle MitarbeiterInnen loyal und motiviert bleiben – es wird sicherlich ein langer Winter, aber es wird auch wieder erfolgreichere Zeiten geben, und die möchte ich mit allen unseren MitarbeiterInnen und KundInnen gerne erleben. Das ist mein Anspruch in der Krise und ich bin voller Motivation und Zuversicht!“ 

Kurzportrait Mag. (FH) Patrik Weitzer

Die Liebe zum Tourismus weckten bei dem gebürtigen Kärntner Patrik Weitzer (39) – animiert von seiner Gromutter – die Sommerjobs im Landgasthaus Mochoritsch am Klopeiner See. Die Tourismusschule Klessheim und ein berufs­begleitendes BWL-Studium mit Schwerpunkt Tourismus an der FH Salzburg – damals bereits als Marketingleiter bei GEO Reisen – waren die logische Folge.

Als die deutsche RV Touristik (RVT) 2011 die Markenrechte an GEO erwarb und eine neue GmbH gründete, erhielt Patrik Weitzer die Prokura und wurde gewerberechtlicher Geschäftsführer. Seit 2014 ist er auch handelsrechtlicher Geschäftsführer sowie zusätzlich für den Gruppenreiseveranstalter Prima Tours verantwortlich. In der aktuell zweiköpfigen Geschäftsführung der RV Touristik übt er die Tätigkeit des Hauptgeschäftsführers (CEO) aus.

2016 übernahm die deutsche RV Touristik die österreichische Raiffeisen-Reisebüro GmbH. Seither verantwortet Patrik Weitzer dort – zusätzlich zu seinen übrigen Aufgaben, zu denen auch die Geschäftsführung des Kreuzfahrtspezialisten AtourO GmbH – TreffpunktSchiff mit Sitz in Ludwigsburg gehört – gemeinsam mit Bernd Knoflach die Geschäfts­führung. Weitzer ist auch Mitglied der Reisebüro-Fachgruppe in Salzburg.

Das Netzwerk von RVT, RTG und RTK

Die heutige RV Touristik (RVT) wurde 1971 als Abteilung der bayerischen Raiffeisenbanken gegründet. 10 Jahre später wurde sie eine eigenständige Gesellschaft und 1987 in Raiffeisen- und Volksbanken Touristik GmbH (kurz RV Touristik) umbenannt. Seit 2010 ist die RVT zu 100 % eine Tochter der Raiffeisen Touristik Group GmbH Burghausen (kurz RTG).

Der RVT gehören die 100 %-Töchter AtourO GmbH – Treffpunkt­Schiff (Deutschland), GEO Reisen & Erlebnis GmbH (seit 2011) und Raiffeisen Reisebüro GmbH  (1969 gegründet, Übernahme 2016) sowie die 50 %-Beteiligungen Travel Consultant GmbH (mit ÖAMTC Reisen) und GEO Reisen & Freizeit GmbH (mit den Planai Bergbahnen). Nicht bei der RVT, sondern bei deren Schwester Raiffeisen-Tours – RT-Reisen GmbH – ressortiert über die Raiffeisen-Tours-Kooperation (RTK) der seit 2000 bestehende 20 %-Anteil an Österreichs gröter Reisebürokooperation TRAVELSTAR GmbH (320 Reisebüros mit 450 Mio. Euro Umsatz). Die Muttergesellschaft RTG ist seit 2014 Teil des Firmennetzwerks des Ägypters Samih Sawiris (74,9  %), der seit heuer auch mit 75,1 % die Mehrheit an der FTI Touristik hält. Die RTG ist zudem der gröte Reisevermittler Europas und betreibt mehrere Kooperationsmodelle, die Teil der Quality Travel Alliance (QTA) sind – eine Kooperation mit über 9.600 Reisebüros.

Kommentar schreiben

Bitte die Netiquette einhalten. * Pflichtfelder

Nach oben