Print-Ausgabe 14. August 2020
Helga Freund und Gregor Kadanka sind nicht die einzigen, die dem Direktinkasso kritisch gegenüber stehen
Die Positionen von Reisebüros und Veranstaltern klaffen in vielen Fällen auseinander, aber nicht überall, wie T.A.I. im Zuge einer Umfrage feststellen konnte
Während des Lockdowns gab es hinter vorgehaltener Hand erste Andeutungen, jetzt ist das Thema voll da: Österreichs Vertrieb soll auf Wunsch der großen deutschen Reiseveranstalter und Kreuzfahrt-
reedereien vom bislang üblichen Reisebüro-Inkasso auf Direktinkasso umgestellt werden. Die Fronten sind – wie T.A.I. im Rahmen einer Umfrage feststellen konnte – verhärtet, aber nicht festgefahren: Hinter den Kulissen wird intensiv verhandelt.
Während die Reiseveranstalter als Argument für die Notwendigkeit zur Umstellung des Inkassos mit der Liquidität argumentieren („Reisebüros arbeiten mit Kundengeldern, die ihnen nicht gehören“), geht es dem Vertrieb vorrangig um die Kundenhoheit („Verlust an Kundenbindung und Flexibilität“). Die Kernfragen der Reisebüros lauten deshalb: Wem gehört der Kunde? Und wer betreut den Kunden?
Die Position der Reiseveranstalter
Für Ines Wasner, bei TUI als Director Distribution für die Bereiche Vertrieb, Marketing und Operations verantwortlich, hat die Corona-Pandemie mit ihren Folgen u. a. zum Überdenken der Inkasso-Art geführt: „Das Ausfallsrisiko durch Reisebüro-Insolvenzen wird durch Direktinkasso beim Veranstalter erheblich reduziert. Die Anzahlung wird sofort von den KundInnen an den Veranstalter bezahlt und die Restzahlung erfolgt erst bei Abreise auch direkt von den KundInnen an den Veranstalter. Aus unserer Sicht ist es der richtige Zeitpunkt für die Einführung von Direktinkasso.“
Kurz und knapp äußert sich Alexander Gessl, Chef von FTI Österreich. Ihm zufolge wird FTI ab 1. November 2020 Direktinkasso anbieten. Die FTI Touristik „gibt dazu aber keine Verpflichtung für Agenturpartner heraus.“ Der Veranstalter behalte sich jedoch vor, bei Beibehaltung des Reisebüro-Inkassos eine „notwendige Bonitätsanforderung“ zu verlangen. Gessl: „Details werden über den Sommer ausgearbeitet.“ Ganz neu ist das Thema für FTI Österreich nicht: „Wir haben bereits einige wenige Agenturen mit Direktinkasso.“
Martin Fast, Geschäftsführer der REWE Austria Touristik, möchte „aufgrund von aktuell laufenden Gesprächen keine Aussagen treffen.“ Die Diskussionen mit den Vertriebspartnern werden jedenfalls „vertrauensvoll, seriös und partnerschaftlich geführt.“ Und: „Sobald Ergebnisse feststehen, werden wir diese gerne kommunizieren.“
Die Position der Reisebüros
Helga Freund, Vorstand des Österreichischen Verkehrsbüros und Geschäftsführerin von Ruefa Reisen, Österreichs größter Reisebürokette, stellt indes klar: „Wir als Reisebüros verstehen uns als unabhängiger Vermittler den KundInnen gegenüber, und diese Position sehen wir beim Direktinkasso sehr gefährdet.“ Warum? „Wir kennen unsere KundInnen und agieren als zentrale Service-Ansprechpartner in jeder Hinsicht: Egal, ob das die Rechnungslegung oder die zu einem späteren Zeitpunkt gewünschte Zusatzleistung betrifft: Im Falle eines Direktinkassos würden wir diese Rolle aufgeben und das würde vor allem unsere KundInnen benachteiligen.“ Gründe dafür liegen in der komplizierteren Rechnungslegung, in der unklaren Rückabwicklung der Kosten, es bestehe kein Schutz durch Pauschalreiserichtlinie, etc.
Bei der Realisierung dieses Direktgeschäfts würden laut Helga Freund zudem „mittel- bis langfristig Kundendaten an die Veranstalter gelangen – eine Tatsache, die wir nicht nur aufgrund des Datenschutzes sehr kritisch sehen, sondern die sich auch nicht mit unserem Geschäftsmodell verträgt.“
Uschi Habersam, Geschäftsführerin von Österreichs größte Reisebürokooperation TRAVELStar (320 Reisebüros mit rund 450 Mio. Euro Umsatz) sieht das Thema etwas differenzierter: „Für das Direktinkasso spricht, – aber auch mit vielen internen und wahrscheinlich kostenaufwendigen Umstellungen verbunden und nur sofern die Buchung bei einem einzigen Leistungsträger platziert würde – eine Vereinfachung der Zahlungsabwicklung. Die klare Verantwortung durch Direktinkasso würde beim Veranstalter liegen (Veranstalterhaftung). Rückzahlungen würden direkt vom Veranstalter an die KundInnen erfolgen – das Reisebüro müsste sich darum nicht kümmern.“
Soweit die positiven Argumente, doch laut Uschi Habersam „spricht aber viel mehr dagegen.“ Als Punkte führt sie „den enorm steigenden Verwaltungsaufwand“ an (Anzahlung/Restzahlung usw.), ebenso, dass „die Kundenbindung, wie sie aktuell ist, verloren geht, da nicht mehr die gesamte Abwicklung inklusive Zahlungsverkehr und Unterlagenausgabe über das Reisebüro erfolgt.
Vergleich mit Deutschland
Als Argument pro Direktinkasso wird angeführt, dass es in Deutschland bereits gang und gebe ist. Demzufolge arbeiten in der Bundesrepublik 99 % der Agenturen mit Direktinkasso. Ausnahmen bestehen in jenen Themenbereichen, wo das Direktinkasso nicht umsetzbar ist, so z. B. bei Gruppenbuchungen.
Doch die beiden Märkte sind nicht vergleichbar. TRAVELStar-Geschäftsführerin Uschi Habersam: „In Österreich ist der Anteil an individuell zusammengestellten Reisen mit mehreren Leistungsträgern im Vergleich zu Deutschland deutlich höher.“ Gregor Kadanka, Fachverbandsvorsteher der Reisebüros in der WKO, pflichtet dem bei: „In Deutschland dominieren die Katalog-Ausgabestellen, in Österreich herrscht mehr Individualität und wird mehr zusammengestellt.“
Verkehrsbüro-Vorständin Helga Freund: „Die österreichischen Reisebüros sind im Vergleich zu deutschen Reisebüros bereits jetzt stärker als Veranstalter tätig. Ca. 30 % des gesamten österreichischen Reisebüro-Umsatzes fällt auf die Veranstaltertätigkeit.“
Laut Gregor Kadanka haben in Österreich zwei Drittel der Reisebüros eine Insolvenzversicherung (rund 850) und dürfen deshalb selbst Pauschalreisen veranstalten, in Deutschland sind es mit 800 nicht einmal 10 %. „Es sind zwei verschieden strukturierte Märkte.“ Durch das Direktinkasso werde es laut Gregor Kadanka schwieriger, zu paketieren: „Die KundInnen müssen an das Reisebüro die Beratungsgebühr zahlen, an Veranstalter 1 einen Teil, an Veranstalter 2 den zweiten Teil …“
Vorteile für den Vertrieb
Bei all dem stellt sich zwangsläufig die Frage, ob denn das Direktinkasso nicht auch Vorteile für den Vertrieb bringt? „Auf jeden Fall“, antwortet TUI-Managerin Ines Wasner. „Zum einen, weil die Provisionszahlung bereits direkt bei der Buchung erfolgt und das Zahlungsausfallrisiko inklusive Fraud durch die KundInnen direkt beim Veranstalter liegt.“ Das Risiko reduziere sich hier für ein Reisebüro um im Schnitt 0,1 % vom Umsatz. Weiterhin bedeutet Direktinkasso laut Ines Wasner „für den Vertriebspartner weniger Buchhaltungsaufwand, niedrigere Bankspesen, weniger Disagiokosten für Kreditkartenzahlungen und geringere Steuerberatungskosten, weil nur mehr die Provisionsgutschrift beim Reisebüro eingeht.“ Zusätzlich reduziere sich die Insolvenzversicherungssumme für das Reisebüro. Wasner: „TUI macht außerdem keinen Provisionsabschlag für Direktinkassobuchungen trotz Übernahme der Zahlkosten. Ein weiterer Vorteil ist der deutlich ausgeglichenere Cashflow über das Jahr gesehen, da die Cashflow-Spitzen und -Tiefen wegfallen.“
Dem können vor allem kleinere Agenturen beipflichten, wie Peter Grossman, Geschäftsführer und Gründer der GN Touristik (Traumschiff.at). Er kann auf Direktinkasso-Erfahrungen mit Thomas Cook verweisen: „Der administrative Aufwand in der Buchhaltung und am Telefon wird minimiert. Wir verbuchten ‚nur‘ die Provision.“ Mit Anzahlung, Mahnung, Restzahlung, Kunde zahlt nicht, Unterlagenversand etc. hatte Traumschiff.at durch das Thomas Cook-Direktinkasso nichts mehr zu tun. Seit der Cook-Pleite macht aber auch dort das Direktinkasso Pause.
Mit dem Direktinkasso vertraut, „weil es bei einigen deutschen Veranstaltern die Vorgabe war und gar nicht anders ging“, ist auch Christian Schmid mit seinem Ein-Mann-Unternehmen TRAVELSTORE. Seiner Meinung nach beeinträchtigt Direktinkasso nicht die Liquidität seines Reisebüros. Zwar „lebt gerade die Reisebranche vom Cashflow, jedoch selbst ich als kleines Ein-Mann-Reisebüro war vor Corona so gut im Geschäft, dass es die Liquidität nicht beeinträchtigt hat.“ Sein Fazit: „Ich denke aber nicht, dass die Liquidität etwas mit Direktinkasso oder nicht Direktinkasso zu tun hat. Entweder läuft das Geschäft und man wirtschaftet gut oder nicht.“
Doppelrolle von TUI und Verkehrsbüro
Besonders heikel ist das Thema Direktinkasso für TUI Österreich und das Österreichische Verkehrsbüro: Beide sind als Marktführer sowohl als Veranstalter als auch als Reisebüro tätig. Bei TUI sind die Würfel aber bereits gefallen: „Wir werden ab November auch bei TUI Das Reisebüro auf Direktinkasso umstellen“, betont Ines Wasner.
Helga Freund beurteilt die Situation etwas differenzierter: „Als Reiseveranstalter können wir die Situation grundsätzlich nachvollziehen, vor allem weil Veranstalter im Fall eines Reisebüro-Konkurses für die Kosten aufkommen müssten. In der Veranstalter-Rolle ist es aber auch unsere Aufgabe, selbstverantwortlich zu entscheiden, mit welchen Partnern bzw. mit welchen Reisebüros wir zusammenarbeiten. Wir haben daher mit der aktuellen Situation kein Problem.
Zeitpunkt der Provisionszahlung
Beim Reisebüro-Inkasso leistet der Kunde seine Anzahlung (z.B. 20 %) bekanntlich zum Zeitpunkt der Buchung an das vermittelnde Büro. Erst 30 Tage vor Abreise wird der Rest fällig und der Gesamtbetrag – nach Abzug der Reisebüro-Provision – vom Veranstalter eingezogen.
Im Falle des Direktinkassos kassiert der Veranstalter die Anzahlung direkt von den KundInnen, zieht 30 Tage vor Abreise den Restbetrag ein und zahlt die Provision an das vermittelnde Reisebüro in der Regel erst kurz nach der Abreise „oder sogar erst nach Rückkehr der KundInnen“, wie Christian Schmid aus eigener Erfahrung weiß. Seiner Meinung nach könne dass Direktinkasso aber „nur optimal laufen, wenn man die Provision bei Abschluss der Buchung erhält.“ Peter Grossmann von Traumschiff.at sieht es genauso: „Die Provisionszahlung sollte beim Zeitpunkt der Buchung erfolgen und nicht erst, wie beim Direktinkasso üblich, zum Zeitpunkt der Abreise.“
Einen Schritt weiter geht TRAVELStar-Geschäftsführerin Uschi Habersam: „In jedem Fall müsste die Provision sofort nach Buchungseingang überwiesen, aber auch im Falle einer Absage/Stornierung nicht wieder rückgefordert werden.“ Ob letzteres durchsetzbar ist, wird sich weisen. Ersteres kann zumindest TUI Österreich garantieren. „Die Provisionsgutschrift für den gesamten Reisepreis zahlen wir nach Buchung mit der nächsten Agenturabrechnung an das Reisebüro“, so Ines Wasner. Dies betrifft auch allfällige Buchungsgebühren: „Nach Implementierung des Feldes für eine frei wählbare Servicepauschale wird auch die Servicepauschale des Reisebüros zum Zeitpunkt der Provisionszahlung an das Reisebüro überwiesen.“
Stand der Verhandlungen
Noch sind alle Dinge im Laufen, wie die eingangs zitierten Statements von FTI-Chef Alex Gessl und REWE Austria Touristik-Geschäftsführer Martin Fast andeuten. Dies ist auch der Grund, weshalb sich Gunther Hölbl, Gesellschafter und Senior Partner von Kuoni Österreich (zu der auch die Restplatzbörse gehört), vorerst bedeckt hält: „Nachdem wir derzeit mitten in vertraulichen Gesprächen mit unseren Veranstalterpartnern sind, bitte ich um Verständnis, dass wir uns mit öffentlichen Kommentaren über die Problemstellungen und Lösungsansätze zum Thema Einführung des Direktinkassos zurückhalten wollen. Nach Abschluss der Gespräche und Unterzeichnung der Vereinbarungen sind wir gerne bereit, unsere Position zu dem Thema zu erläutern.“
Eine aufgelegte Sache ist die Angelegenheit jedenfalls nicht. Uschi Habersam: „In den bisherigen Gesprächen, mit Veranstaltern konnten wir noch keine überzeugenden Gründe oder Zugeständnisse finden, die eine Zustimmung zum Direktinkasso rechtfertigen würden.“ Ähnlich sieht es Verkehrsbüro Vorständin Helga Freund: „Aus den oben genannten Gründen sprechen wir uns klar gegen das Thema Direktinkasso in Österreich aus, weil wir die Gefahr in der Neutralität der Beratungsleistung dem Kunden gegenübersehen.“ Und nicht nur das: „Und ist auch schon zu Ohren gekommen, dass deutsche Reisebüros das Thema kritisch sehen und – wenn sie könnten – das Rad gerne zurückdrehen würden.“ Für Fachverbandsvorsteher Gregor Kadanka steht eines fest: Sollte das Direktinkasso tatsächlich auch hierzulande kommen, „wird es jene Veranstalter stärken, die Optionen bieten und nicht nur Direktinkasso verlangen, sondern auch Reisebüro-Inkasso erlauben – darunter vor allem die österreichischen Veranstalter.“ T.A.I. wird über die weitere Entwicklung berichten.
Erstellt am: 14. August 2020
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