Print-Ausgabe 15. Dezember 2017
Durch die Übernahme des insolventen Reiseveranstalters stärkt Lidl seine Position deutlich – Reisebürovertrieb bleibt, ebenso Österreich Vertriebsleiter Thomas Blaha.
Der Fortbestand der insolventen JT Touristik ist gesichert. Als Käufer tritt der Handelskonzern Lidl (Schwarz-Gruppe) auf, der vor elf Jahren in den Reise-Direktvertrieb eingestiegen ist und mit dem Neuerwerb JT die Chance sieht, den Umsatz in diesem Bereich zu verdoppeln. Damit würde Lidl Reisen, der auch in Österreich tätig ist, den stärksten Konkurrenten Aldi (in Österreich Hofer) im Reisesegment deutlich übertreffen. Dem Vernehmen nach wird von Lidl die gesamte 60-köpfige JT-Crew übernommen, inklusive Österreich Vertriebsleiter Thomas Blaha. Nicht mehr dem Unternehmen angehören wird JT-Gründerin Jasmin Taylor. Nach derzeit vorliegenden Informationen ist geplant, die JT-Produkte auch künftig über Reisebüros zu verkaufen.
Bereits gebuchte Reisen finden laut JT Touristik wie geplant statt. Neue Buchungen sollen ab Mitte Jänner 2018 möglich sein. „Das Know-how von JT ergänzt sich hervorragend mit den Kompetenzen, die wir in den letzten zehn Jahren aufgebaut haben“, kommentiert Christoph Hahn, Reise-Chef bei Lidl E-Commerce International, die noch von den Kartellbehörden abzusegnende Übernahme.
Die Firmengeschichte von Lidl reicht bis ins Jahr 1858 zurück. Damals wurde in Heilbronn (in Baden-Württemberg, ca. 60 Kilometer nördlich von Stuttgart) von A. Lidl eine „Specerei- und Südfrüchte-Handlung“ gegründet. 1930 trat Josef Schwarz als persönlich haftender Gesellschafter in das Unternehmen ein, das sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte zur Schwarz-Gruppe entwickelte. Heute ist es mit 90,2 Mrd. Euro Umsatz 2016/17 der größte Handelskonzern Europas und der viertgrößte der Welt. Hauptmarken sind Lidl und Kaufland. Clan-Chef Dieter Schwarz (77) gilt laut „Forbes“ mit einem Netto-Vermögen von 19,9 Mrd. US-Dollar als reichster Deutscher. Der Einstieg von Lidl und Kaufland ins Reisegeschäft erfolgte im Dezember 2006 (davor gab es umstrittene Gutschein-Aktionen mit Bahntickets, Airlines und Fernbussen). Abgewickelt werden diese über die Lidl E-Commerce International GmbH & Co. KG, die je nach Angebot entweder als Reisevermittler (es wird mit über 40 Veranstaltern kooperiert, darunter mit der FTI-Tochter „Big Xtra“) oder seit einem Jahr auch als Reiseveranstalter („Lidl holidays“) fungiert. Vor allem den Eigenveranstalter will Lidl-Reisen weiter ausbauen, wie beim 10-Jahre Jubiläum vor einem Jahr betont wurde.
Der von Lidl (inklusive Kaufland) im Reisegeschäft in Deutschland erwirtschaftete Umsatz erreichte 2015 geschätzte rund 150 Mio. Euro. Damit lagen Lidl/Kaufland in der Bundesrepublik deutlich vor Aldi Reisen (90 Mio. Euro). Zum Vergleich: die mit Abstand erfolgreichste Reisedirektvertriebs-Marke im deutschsprachigen Raum, die von Eurotours gemanagten Hofer Reisen (Aldi tritt hierzulande unter der Marke Hofer auf), erwirtschafteten zuletzt einen Umsatz von 118,55 Mio. Euro. Deutschland und Österreich zusammengenommen, hatten Aldi/Hofer bislang also deutlich die Nase vorn.
Durch den Kauf der JT Touristik (Umsatz zuletzt rund 180 Mio. Euro) wird sich dieses Kräfteverhältnis nun in Richtung Lidl/Kaufland verschieben. Wie deutlich wird davon abängen, wieviel vom JT Umsatz gerettet werden kann und wie der Reisebüro-Vertrieb die neue Konstellation bewertet. Dass die Kombination von Direkt- und stationärem Vertrieb funktioniert, zeigt das Beispiel der REWE Touristik Austria: deren Österreich-Marke ITS Billa Reisen erwirtschaftet über jede der beiden Vertriebsschienen je die Hälfte ihres Umsatzes.
Erstellt am: 15. Dezember 2017
am Bild: Thomas Blaha
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