Gutschein-Modelle im Tourismus

Gutschein nicht gleich Gutschein, nicht gleich Gutschein! Eine Analyse

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Die Corona-Krise beflügelt viele Gutscheininitiativen. Vor allem die Strategie „Gutschein statt Storno“ sorgt seit Wochen in der Touristik für Schlagzeilen. Es handelt sich um ein Modell, durch das die angespannte Liquidität von Reisebüros, Airlines und Reiseveranstaltern nicht noch mehr ausgezehrt werden soll. Doch es widerspricht dem geltenden Pauschalreisegesetz.

Andere Gutscheinmodelle sind bereits seit Jahren gut im Markt eingeführt. Sie sorgen bei Hotellerie, Reisebüros, Reiseveranstaltern, anderen touristischen Betrieben und Airlines für zusätzliche Umsätze, bringen Liquidität und sichern die zukünftige Nachfrage. Es gibt dabei Gutscheinmodelle, die über Drittanbieter zu den potentiellen KundInnen gelangen, und solche, die den Gästen im Eigenvertrieb angeboten werden.

Worin sich die einzelnen Gutscheinstrategien und -lösungen unterscheiden, welche Chancen bzw. Risken bestehen, das zeigt eine aktuelle T.A.I.-Analyse.

„Gutschein statt Storno“

Dieses Modell soll helfen, die Liquidität von Hotels, Reisebüros, Reiseveranstaltern und Airlines nicht noch stärker zu belasten. Die (stark vereinfachte) Idee dahinter: Wer im Zuge der aktuellen Corona-Pandemie nicht umbuchen möchte, soll auf die Rückzahlung des Reisepreises verzichten und einen Gutschein akzeptieren, der staatlich abgesichert ist.

Bei dem Modell „Gutschein statt Storno“ handelt sich aber um eine rechtliche Gratwanderung, denn die EU-Pauschalreiserichtlinie und das österreichische Pauschalreisegesetz sehen eine derartige Lösung nicht vor. Und laut bisherigen Urteilen des Obersten Gerichtshofs (OGH) reicht es für ein kostenloses Storno, dass „seriösen Medienberichten zufolge der Reiseantritt unzumutbar“ ist.

Um der Reisebranche zu helfen, haben mehrere EU-Länder (u.a. Frankreich, BeNeLux, Italien und Spanien) das Modell „Gutschein statt Storno“ trotz rechtlicher Bedenken bereits umgesetzt. Die deutsche Bundesregierung hat Anfang April erklärt, eine rechtliche Regelung ausarbeiten zu wollen (wer den Gutschein nicht einlösen will oder kann, bekommt Ende 2021 sein Geld zurück). Die ÖHV (Österreichische Hoteliervereinigung) sieht das Modell „Gutschein statt Storno“ als „Erfolgsmodell“, das es in Europa durchzusetzen gelte: „Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen“, so ÖHV-Präsidentin Michaela Reitterer (Bild).

Doch Österreich konnte sich dazu noch nicht durchringen und wartet ab, was in der Reisebranche für entsprechenden Unmut sorgt: „Der Handlungsbedarf wird immer dringender“, so der Präsident des ÖRV (Österreichischer ReiseVerband), Josef Peterleithner (Bild). 

Sowohl EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als auch EU-Justizkommissar Didier Reynders haben sich zuletzt Mitte April gegen das Gutscheinmodell ausgesprochen. „Gutschein statt Storno“ kann somit bis auf weiteres nur in Form einer Kulanzlösung praktiziert werden (Details siehe Europäisches Verbraucherzentrum Österreich).

Gutscheine im Eigenvertrieb

Bei diesem Modell werden Gutscheine den KundInnen im Direktvertrieb durch das Hotel, den Gastronomiebetrieb, den TVB oder das Reisebüros selbst angeboten. „Der Gutscheinverkauf stand oftmals im Schatten der Onlinebuchung, obwohl er viele, sehr positive Effekte mit sich bringt und geschickt eingesetzt für Betriebe eine wirtschaftliche Bereicherung darstellt“, so Günther Praher (Bild), Geschäftsführer der INCERT eTourismus (www.incert.at), die sich auf Gutschein-, Ticket- & Shopsysteme im touristischen Eigenvertrieb spezialisiert hat.

Diese frühere Zurückhaltung beim Gutscheinverkauf hat sich längst geändert. Ein direkter Gutscheinverkauf schafft zusätzliche Umsätze, sorgt damit für Liquidität am eigenen Konto, bindet die Käufer an den eigenen Betrieb und sichert die zukünftige Nachfrage.

Selbst nicht eingelöste Gutscheine bleiben als Ertrag am eigenen Konto. Eingelöste Gutscheine wiederum bieten einen enormen Wertschöpfungshebel vor Ort. Praher: „Das Beste daran ist, dass Gutscheine oftmals als Urlaubsvorfreude gekauft und damit nicht über den Preis verkauft werden, sondern über die Emotion und die Qualität selbst.“

Dies führe dazu, dass keine bzw. nur sehr geringe Rabatte notwendig sind, um im eigenen Vertrieb Gutscheine am Markt zu verkaufen. Das Besondere daran ist, dass  oftmals die eigenen Gäste das Hotel/das Reisebüro etc. aktiv empfehlen und im Bekanntenkreis als Schenker agieren. Damit wird die eigene Klientel um neue Gästegruppen erweitert, die auch zum Konzept und Niveau des Hauses passen und der eigenen Zielgruppe entsprechen. 

Aktuelle Initiativen im Handel, der Gastronomie und der Ferienhotellerie unterstützen deshalb den Direktvertrieb der Betriebe aktiv. So werden derzeit im Zuge der ÖHV-Aktion (Österreichische Hoteliervereinigung) „Partner helfen“ von INCERT 50% der Einrichtungskosten der Systeme übernommen. „Wir installieren den Betrieben ihren eigenen Gutschein- oder Onlineshop kostengünstig, einfach und schnell“, so INCERT-Chef Günther Praher.

Ebenso werden Gutscheinplattformen ins Leben gerufen, auf denen sich die Betriebe kostenlos registrieren können und somit Aufmerksamkeit und Zugriffe für ihr eigenes Gutscheinangebot erzielen können. Bei einigen dieser Initiativen ist auch INCERT aktiv beteiligt bzw. unterstützt diese in der Kommunikation an die Betriebe. Konkret handelt es sich um Plattformen des Relax-Guides (www.relax-guide.com/hotelgutscheine), die kostenlose Listung auf www.gutschein.at oder die eigene Initiative für touristische Betriebe von INCERT auf www.urlaubsvorfreude.kaufen.

Gutscheinmodelle „von Drittanbietern“

Hier stehen Vertrieb und Vermarktung touristischer Leerkapazitäten im Vordergrund. Darauf spezialisiert ist u.a. die SST Touristik mit Sitz in Linz. Wurde das Thema Gutscheinverkauf in Hotellerie und Tourismusverbänden früher nicht so gerne gesehen, hat man längst erkannt, dass damit ein echter Zusatzertrag erwirtschaftet werden kann. Vertrieben werden die Gutscheine über Portale wie eBay, brands4friends, we-are.travel etc.

Zwei Grundprämissen sind dabei wichtig: der Kunde hat kein Terminrecht (dieses liegt ausschließlich beim Hotelier und sollte genau eingegrenzt werden) und es werden ausschließlich KundInnen angesprochen, die nicht zu den Stammgästen zählen. Der Kunde bucht direkt beim Hotel, das die möglichen Anreisetermine, Upgrades und Zusatzverkäufe festlegt.

Die SST Touristik (www.touristik-vertrieb.at) ist mit diesem Modell so erfolgreich (größter touristischer Anbieter auf eBay), dass sie Hotels über ihre Schwestergesellschaft „Hoxami“ (www.hoxami.com) unter dem Motto „Sie kaufen – wir zahlen“ bei der Finanzierung diverser Ausgaben unter die Arme greift. SST- bzw. Hoxami-Geschäftsführer Gerhard Sperrer (Bild): „Wir zahlen praktisch alles, von der Stromrechnung, über den Bau einer Tiefgarage bis hin zur Anschaffung von E-Bikes oder E-Cars." Auch Agenturleistungen der Auf Tourismus spezialisierten Internetagentur ncm (u.a. Online-Marketing, Webseite, SEO/Search Engine Optimization oder Ads etc.) können über dieses System mit ansonsten leerbleibenden Zimmern bezahlt werden.

Die Gutscheine werden ausschließlich online verkauft, sind drei Jahre gültig und werden in der Regel nicht sofort eingelöst. So verteilen sich die Kosten auf mehrere Jahre. Eine von der Prodinger Beratergruppe im Jänner 2020 präsentierte Studie über die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen ergab, dass die Erweiterung des Vertriebsmixes durch Gutscheinvertrieb und die Übernahme bestehender Rechnungen durch Hoxami sowohl den GOP als auch den Cashflow positiv beeinflussen. Gerhard Sperrer: „Ein Hotelier, der rechnen kann, wird das Modell in seinen Finanzierungsmix integrieren.“ In der aktuellen Ausgabe von Tourismus Wissen quarterly (http://tourismuswissen.tai.at) beschäftigt ein Beitrag mit diesem Thema.

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