Print-Ausgabe 24. April 2020
„Die Incomer kämpfen derzeit um das buchstäbliche Überleben“, so Helmut Bernhart vom Tourismus Forum Incoming
Sie selbst bezeichnen sich als „Untergruppe der Reisebüros“ – in Wirklichkeit sind sie weit mehr – die Corona-Krise ist Anlass, den Blickwinkel etwas zurechtzurücken
Spricht man in Österreich vom Tourismus, ist in erster Linie einmal der Österreich-Tourismus gemeint. Also Hotellerie, Gastronomie, Freizeitbetriebe. Dann fallen einem die Reisebüros ein. Die braucht eigentlich eh niemand, weil alles online geht.
Die Airlines? Verpesten die Umwelt, fliegen zu Dumpingpreisen, zahlen keine Kerosin-Steuer und drücken sich um jegliche Entschädigungszahlung, wenn sie, was meistens der Fall ist, verspätet oder gar nicht fliegen. Busse? Raus mit ihnen! Seilbahnen? Verbauen unsere Alpen, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt sind, Berggipfel zu sprengen und weiße Bänder auf grüne Wiesen zu blasen.
Alles vorgefasste Meinungen, die die Verzerrtheit dieses leider in der Öffentlichkeit herrschenden Branchenbildes deutlich machen. Was einem aber gar nicht einfällt, wenn’s in Österreich um Tourismus geht, sind die Incomer. Die Hotellerie mag sie nicht, weil sie ihre Nettoraten auf Bistro & Co stellen. Und weil sie zu hohe Provisionen verlangen. Wofür eigentlich, wenn’s ohnehin HRS, Booking.com & Co. gibt?
Tja. Die Incomer. Sie selbst bezeichnen sich als „Untergruppe der Reisebüros.“ Aber was für eine: Laut ÖRV (Österreichischer ReiseVerband) sorgten sie mit zuletzt ca. 32,5 Millionen vermittelten Übernachtungen für mehr als ein Fünftel (21,7 Prozent) des Gesamtaufkommens aller Gäste des Österreich-Tourismus. Branchenriesen wie Eurotours, TUI Incoming, die DTS Destination Touristic Services Incoming der DER Touristik, Travel Europe, Travel Partner und Mondial gehören ebenso dazu wie Spezialisten vom Schlage einer Mundivision, Salzkammergut Touristik, Pegasus oder ÖBB Rail Tours. Es sind grundsolide, wirtschaftlich überaus erfolgreiche Unternehmen, wie T.A.I. vor kurzem in der Analyse der österreichischen Touristik-Champions nachweisen konnte.
Derzeit kämpfen die Incomer Seite an Seite mit der Hotellerie „unter weitaus extremeren Bedingungen“ als die Outgoing-Agenturen „um das buchstäbliche Überleben in der Krise“, so HelmutBernhart, Sprecher des „Tourismus Forum Incoming“ und Chef des Incoming Reisebüros Mundivision. In einem „offenen Brief“ an Tourismusministerin ElisabethKöstinger unterstrich Ende voriger Woche das „Tourismus Forum Incoming“ die besondere Position dieser Unternehmen und forderte ein spezielles Maßnahmenpaket, das den Incomern das Überleben in den kommenden zwölf Monaten ermöglichen soll.
T.A.I. berichtete online (mit extrem hohen Zugriffsraten) über drei solcher überlebenswichtigen Maßnahmen, die speziell für die Incomer zusätzlich zu den bereits für die Allgemeinwirtschaft geschnürten Hilfspaketen ergriffen werden müssen:
1. Entschädigung der bereits erbrachten Arbeit und Leistung für Reisen, die auf Grund der Corona Krise und der damit verbundenen Reisebeschränkungen nicht stattgefunden haben, sondern sogar mit doppeltem Zeitaufwand wieder abgesagt werden mussten (Stichwort: Oberammergau 2020, da geht es um Millionen!).
2. Finanzieller Schutzschirm zur Abdeckung laufender Kosten, die nicht mehr zurück verdient werden können, analog zum Härtefallfonds. Der Liquiditätsbedarf der Incomer kann aufgrund des kompletten Umsatzentgangs in den kommenden Monaten nicht hergestellt werden.
3. Möglichkeit zur Verlängerung der Kurzarbeit über die bevorstehende Wintersaison hinaus, da in der aktuellen verkürzten Sommersaison keine Rücklagen für die Finanzierung der Gehälter und Abgaben gebildet werden können, um eine Alternative zu Kündigungen zu schaffen.
Helmut Bernhart: „Im Normalfall wird der Großteil der Umsätze und des Ertrags der Incoming-Agenturen in den Saisonmonaten zwischen April bis Oktober getätigt. Auf dieser Basis werden dann die Rücklagen für die bevorstehenden umsatzschwachen Wintermonate lukriert. Dies wird 2020 nicht machbar sein.“
Noch ist vom Tourismusministerium keine Antwort auf den „offenen Brief“ beim „Tourismus Forum Incoming“ eingelangt. Eine diesbezügliche Nachfrage von T.A.I. im Kabinett von Ministerin Elisabeth Köstinger hat ergeben, dass daran gearbeitet wird.
Wie auch immer die Antwort ausfallen wird, eines ist unabhängig davon dringend erforderlich: dass in Österreich generell eine komplett andere Einstellung gegenüber der Tourismusbranche Einzug hält. Das Verständnis darf nicht bei Hotellerie, Gastronomie und Freizeitbetrieben enden.
Zum Tourismus gehören auch die mehr oder weniger wohlgelittenen Online-Giganten à la Airbnb oder Booking.com, die Reiseveranstalter und die mit der Branche eng verwobenen Verkehrsträger, aber vor allem auch die österreichischen Reisebüros, im Outgoing wie im Incoming. Dort sitzen Menschen und keine Algorithmen, absolute Fachleute, die einem persönlich zur Seite stehen, wenn’s Troubles gibt. Die Corona-Ausnahmesituation bietet die einmalige Gelegenheit und Chance, sich dies bewusst zu machen und – hier ist die Politik gefordert – entsprechende überlebenssichernde Maßnahmen zu setzen.
Erstellt am: 24. April 2020
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