Print-Ausgabe 16. September 2022
Petra Hedorfer (l.) begrüßte Eva Buzzi (r.) zu einem Podcast-Gespräch, das Kernthema war dabei die Nachhaltigkeit im Tourismus
Beim Thema „Sustainability“ am Boden und in der Luft hat die Reisebranche noch einen weiten Weg zu beschreiten – die ersten Ansätze stimmen allerdings positiv
Unter dem Titel „On the MIC with Petra Hedorfer“ startete die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT), Petra Hedorfer, heuer einen Podcast, bei dem mit hochrangigen Expert*innen aus aller Welt aktuelle Themen im Mittelpunkt stehen. Moderiert wird die Serie vom TV- und Radio-Journalisten Thorsten Schaubrenner (u.a. Nachrichtensprecher und -redakteur beim NDR). Ende August war die Präsidentin des ÖRV (Österreichischer ReiseVerband) und Geschäftsführerin von ÖBB Rail Tours, Eva Buzzi, zu Gast. Kernthema: Nachhaltigkeit im Tourismus bzw. welche großen Herausforderungen auf dem Weg zum „new normal“ der „Sustainability“ noch zu bewältigen sind.
Auf dem Papier sieht es bereits erfreulich aus: Demnach wollen heuer laut aktuellen Studien 80 % der Konsument*innen mindestens einmal in nachhaltigen Unterkünften übernachten; Expedia zufolge entscheiden sich 70 % der Reisenden gegen ein Land oder ein Transportangebot, sofern vom Anbieter bezüglich Sustainability nur Lippenbekenntnisse kommen. Und laut „Nation Brand Index“ steht für 31 % der Schutz der Umwelt und der natürlichen Ressourcen an erster Stelle. Petra Hedorfer: „Das ist kein grüner Anstrich mehr.“
Der DZT-Chefin zufolge liegen Österreich und Deutschland im SDG (Sustainable Development Goals)-Index zwar auf den erfreulichen Rängen 5 und 6 (die Spitze nimmt Finnland vor Dänemark und Schweden ein, Platz 4 hält Norwegen), doch zu tun gäbe es noch genug: „Es ist bereits sehr viel in den Bereichen Umweltschutz, nachhaltige Gedanken und soziale Entwicklung passiert. Aber es ist noch eine Menge an Hebelwirkung notwendig.“
Eva Buzzi zufolge drücke etwa „das Wort Klimawandel viel zu wenig aus, was wir gerade durchmachen.“ Fakt sei, dass „bei einem durchschnittlichen Urlaubsaufenthalt circa 80 % der Emissionen auf Kosten der Anreise gehen.“ Daran sehe man, „welchen Hebel wir in der Hand haben, um Urlaub klimafreundlich gestalten zu können.“ Die ÖBB und Rail Tours zählen diesbezüglich mit ihrem Nachtzugangebot zu den „First Movers“: Bereits 2016 hatten die ÖBB „unter dem Gelächter von allen benachbarten Staaten“ damit begonnen, ihr Nachtnetz aufzubauen. Eva Buzzi: „Niemand hat damals gedacht, was für einen großen Nachfrage-Erfolg das erzielen wird.“
Laut Petra Hedorfer gehöre Österreich traditionell zu den Top 5 in Deutschlands Incoming Ranking. 2021 seien aus der Alpen- und Donaurepublik bereits 20 % der Gäste mit der Bahn angereist. Das konnte Eva Buzzi nur bestätigen. Ihr zufolge sei Deutschland für ÖBB Rail Tours eines der Top-Ziele. Die aktuell erfolgreichste Nightjet-Verbindung sei jene nach Hamburg: „Bis Ende Oktober sind wir da fast ausgebucht.“
Auf den Reisen in die Bundesrepublik gelte im Grunde als Faustregel, dass die Bahn 50-mal klimafreundlicher sei als das Flugzeug und circa 30-mal als das Auto. Buzzi: „Das ist schon ein Haufen CO2, den wir da unserem Klima ersparen.“ Eine Erhöhung der derzeitigen Taktung wäre allerdings nicht einfach, denn „die Bahn ist ein kompliziertes Wesen“. Zwar wurde neues Zugmaterial bestellt und es wird versucht, mit der maximalen Zuglänge (sie muss für alle Bahnsteige zugelassen sein) zu fahren, aber unter dem Strich sei die Bahn „sehr abhängig von der Infrastruktur der befahrenen Länder.“
Es sei „klar, dass „nicht sämtliche Verkehrsströme auf die Bahn umgelenkt“ werden können. Aber es gebe sehr wohl Berechnungen, dass innerhalb eines gewissen Radius von 400 bis 500 km „noch viel Platz ist, Kund*innen aufzunehmen.“ In diesem Bereich sei es einfacher, Frequenzen zu erhöhen.
Generell bestehe beim Thema „nachhaltiges Reisen“ laut Eva Buzzi „eine wahnsinnige Beratungsnotwendigkeit“, egal ob im Reisebüro, online oder auf den Portalen: „Die Kund*innen möchten gerne nachhaltig verreisen, aber sie wissen nicht, welche Möglichkeiten es gibt“, so die ÖRV-Präsidentin. Hier gehe es um Fragen der Kompensation (was bringt sie?), wie man den Ausstoß reduzieren kann (u.a. Beimischung von „Sustainable Aviation Fuels“) oder um längere Aufenthalte. Buzzi: „Lieber einmal eine Woche unterwegs sein als zweimal drei Tage. Oder lieber einmal drei Wochen Urlaub als dreimal eine Woche.“
Beim Essen sei Regionalität eine der wichtigsten Maßnahmen. So haben die ÖBB laut Eva Buzzi „aus unseren Lounges die Banane verbannt, obwohl sie eigentlich das Lieblingsobst unserer Kund*innen war. Und jetzt gibt es einen steirischen Apfel. Aus, Ende, vergiss die Banane.“ Gleiches gelte für die Bordbistros der Bahn. Und die Österreichische Hoteliervereinigung (ÖHV) habe für die Beherbergung die Initiative „Klimateller“ ins Leben gerufen, „wo nachhaltig produziert wird und nachhaltige Angebote gemacht werden“.
Um den Wildwuchs bezüglich Nachhaltigkeits-Zertifizierungen in den Griff zu bekommen, haben der DRV (Deutscher ReiseVerband) und der ÖRV die gemeinsame Initiative „Futures“ ins Leben gerufen. Ziel ist es, das Thema „gemeinsam auf Linie zu bringen.“ Im ersten Schritt gehe es darum, „einen einheitlichen Branchenstandard für die Darstellung von Emissionen bei einer Urlaubsreise zu kreieren.“
Ein heikles Thema sei die Besucherstromlenkung. Während der Pandemie wurde laut Eva Buzzi „gesagt, dass es nie wieder auf einem Fleck so viele Leute geben wird wie davor. Jetzt sind wir quasi genau schon wieder dort, wo wir 2019 waren.“ Es gelte deshalb, den Blick auch auf andere Ziele
zu lenken: „Wir haben nicht nur eine Hauptstadt, ein Berlin, wir haben 16 Bundesländer“, so Petra Hedorfer, „wir haben sehr viele Städte und Perlen entlang der Reiseregionen.“
Eines ist zudem trotz der vielerorts feststellbaren Euphorie klar: Der Weg, den die Branche noch zu nehmen hat, ist lang. Gemäß Juli-Befragung des DZT-Expert Industry Panel (280 CEOs von Reiseveranstaltern, Reisebüroketten und OTAs/Online Travel Agents, die rund 70 % Marktabdeckung in Deutschlands Quellmärkten ausmachen) wird heuer von den Konsument*innen viermal pro Jahr eine Urlaubsreise gemacht. Aber erst bei rund 31 % der Kund*innen sind nachhaltige Angebote dezidiert gefragt.
Für die Branche gelte es also, noch weiter viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Petra Hedorfer abschließend: „Es geht also um flächendeckendes, nachhaltiges Reisen von jedem.“ Dabei könne es „keine richtige Urlaubsform“ geben: „Alle Reisen sollten wertvoll einen Impact geben und zugleich die Ressourcen schonen.“
Erstellt am: 16. September 2022
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