Print-Ausgabe 14. Jänner 2022
„Unserer Studie zufolge profitiert die Welt enorm von Geschäftsreisen“, so Growth Lab-Direktor Ricardo Hausmann
Würden alle Firmen der Welt auf Geschäftsreisen verzichten, gingen bis zu 17 % des globalen BIP verloren – Österreich zählt zu den größten Profiteuren
Die Geschäftsreise-Branche befindet sich seit Beginn der Pandemie in der größten Krise ihrer Geschichte. Vor Corona gaben Unternehmen weltweit 1.294 Mrd. US-Dollar pro Jahr für Business Trips aus und die GBTA (Global Business Travel Association) rechnete bis 2022 mit einem Anstieg auf 1.770 Mrd. Dollar. Davon ist längst nicht mehr die Rede. 2020 sanken die Ausgaben im Geschäftstourismus um rund 61 % auf 504 Mrd. US-Dollar, der niedrigste Wert seit der Jahrtausendwende. Die große Frage lautet nun, ob das Business jemals wieder komplett zurückkehren wird, oder ob und wie sich die Koordinaten verschoben haben. Derzeit geht die Mehrheit unzähliger Studien zu diesem Thema davon aus, dass sich die Zukunft der Geschäftsreisen massiv anders gestalten wird als vor Ausbruch der Pandemie.
Für eine Firma auf Business Trip zu gehen, wurde einst als Prestige angesehen. Anzeichen für eine Umorientierung gab es bereits mehrfach, doch die Pandemie hat die Entwicklung beschleunigt. Die von Statistik Austria laufend erhobene Entwicklung der Geschäftsreisen in Österreich zeigt, dass das höchste Volumen mit mehr als 4 Mio. Businessreisen 2013 und 2014 erreicht wurde. Danach ging das Aufkommen um 23 % zurück, um nach einem kurzen Comeback 2019 im ersten Corona-Jahr um 53 % einzubrechen. 2021 brachte in den ersten drei Quartalen zwar wieder einen Zuwachs im 16 %, doch vom 2019er-Niveau liegt das Ergebnis mit −42 % noch deutlich entfernt.
Die Stichworte der geänderten Rahmenbedingungen lauten Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Kosteneinsparung. Viele Unternehmen haben durch Corona erkannt, dass virtuelle Meetings deutlich besser funktionieren als vermutet. Das auf Videokonferenzen spezialisierte US-Unternehmen Zoom Video Communications etwa konnte im 3. Quartal 2021 seinen Umsatz um 35 % auf 1,05 Mrd. Dollar steigern, seit Jahresbeginn sogar um 71 %. Das Unternehmen ist heute mit 47,4 Mrd. Euro Marktkapitalisierung mehr als doppelt so viel wert wie die derzeit wertvollste Airline der Welt, Delta.
Bezüglich Nachhaltigkeit hat vor allem das Thema CO2-Ausstoß zu einer Bewusstseinsänderung beigetragen. Doch meist ist hier der Wunsch größer als die Realität. So geht aus einer GBTA-Umfrage hervor, dass in vielen Unternehmen Schwierigkeiten bezüglich sinnvoller Nachhaltigkeitsinitiativen bestehen. Während 63 % der Unternehmen über Nachhaltigkeitsrichtlinien verfügen, schließen diese nur bei 35 % auch Geschäftsreisen ein. Der Wille, Umweltauswirkungen zu reduzieren, ist also ausgeprägter als in Partnerschaften mit umweltfreundlicheren Reiseanbietern zu investieren. Viele Betriebe setzen lieber darauf, Mitarbeiter*innen Anreize zu bieten, damit diese bei ihren Dienstreisen nachhaltige Anbieter nutzen. Mit gutem Beispiel geht hier z. B. die Credit Suisse voran, deren Mitarbeiter*innen 2019 noch 437 Mio. Kilometer unterwegs waren. Durch Corona sank dieses Volumen 2020 um 86 %. Die Bank hatte ihre Reisepolitik aber bereits vorher neu justiert: Um die Anzahl der Flüge zu verringern, sind Mitarbeiter*innen dazu angehalten, kürzere Strecken mit dem Zug zurückzulegen und auf Videokonferenzen auszuweichen. So sich Flüge nicht vermeiden lassen, wird auf jedem Ticket der CO2-Ausstoß des Fluges angegeben.
Unter dem Strich wird der Faktor Kosteneinsparung die stärkste Wirkung zeigen. So will die Zurich Insurance Group 2022 ihre Geschäftsflüge um 70 % verringern, der Rückversicherer Swiss Re um die Hälfte im Vergleich zu 2019. Laut einer Studie des Verbandes Deutsches Reisemanagement (VDR) hätten die meisten deutschen Unternehmen erkannt, dass Dienstreisen ein „großer, teurer Posten in der unternehmerischen Rechnung“ sind und sich gute Möglichkeiten für Einsparungen auftun. Viele Trips sollen demnach durch virtuelle Meetings und Konferenzen ersetzt werden. Bei 65 % soll dies laut GBTA-Umfrage über striktere Reiserichtlinien erfolgen.
Verzichten kann und will indes auf Geschäftsreisen niemand. Dazu sind sie zu wichtig, wie aus einer Analyse des Growth Lab der Harvard Universität hervorgeht. Demnach spielen Geschäftsreisen „im Prozess der Nachahmung, Wiederholung und Rückmeldung von Gehirn zu Gehirn“ (Fluss und Anhäufung von geschäftlichem Knowhow) eine Schlüsselrolle und sind für die Entwicklung der globalen Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Aus der Studie geht hervor, dass Deutschland, Kanada, die USA, UK und Korea weltweit die wichtigsten Herkunftsländer von Knowhow sind, während Österreich, Irland, die Schweiz, Dänemark und Belgien das meiste Knowhow erhalten.
„Die Tatsache, dass Geschäftsreisen schneller wachsen als das weltweite BIP, obwohl Alternativen wie Skype, FaceTime, E-Mail usw. weit verbreitet sind, hat uns verwundert“, so Growth Lab-Direktor Ricardo Hausmann. Würden beispielsweise deutsche Geschäftsleute nicht mehr reisen, wären laut der Studie Österreich, Südafrika, die Schweiz, Nigeria, Tschechien und die Türkei am stärksten betroffen, und das weltweite BIP würde um 4,8 % sinken. Und wenn alle Firmen der Welt auf Geschäftsreisen verzichten, gingen bis zu 17 % bzw. 14.849 Mrd. US-Dollar der globalen Wirtschaftsleistung verloren. Hausmann: „Um eine Computerdatei, Grafik oder einen Algorithmus um die Welt zu schicken, braucht niemand in ein Flugzeug zu steigen. Aber wenn es darum geht, mit diesem Wissen etwas anzufangen, sieht es anders aus. Dann müssen Köpfe fliegen und nicht Computer-Bytes.“ Hausmann zufolge gibt es drei wichtige Gründe, um Mitarbeiter*innen auf Geschäftsreisen zu schicken: „Um zu kontrollieren, ob ihr Geschäft in einem anderen Land rund läuft, um einen großen Deal abzuschließen und um neue Kund*innen persönlich kennenzulernen und zu gewinnen. Alle anderen Gründe könne man vergessen.“ Ricardo Hausmann abschließend: „Unserer Studie zufolge profitiert die Welt enorm von Geschäftsreisen.“
Erstellt am: 14. Jänner 2022
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