ANA
Zollfreie Gedanken

Mutige Werber

Print-Ausgabe 16. Juni 2017

Das schöne Wort vom Mutigen, dem die Welt gehört, kann angesichts des derzeitigen Umfeldes im Tourismus auch so gedeutet werden: Nur den Mutigen gehört die Welt. Sie scheinen sogar immer mehr zu werden, ackern sich unermüdlich durch Reisekataloge, drängen sich auf Reisemessen und bekommen quadratische Augen vom Starren auf den Bildschirm, wenn sie ihr Traumziel für den nächsten Urlaub suchen. Und dann reisen sie, unbeirrt von Terrorgefahren, gelassen angesichts exzessiver Sicherheitsbestimmungen und unbeirrt vom Stau auf Bahnhöfen, Autobahnen, Flug- und Seehäfen.

Doch nicht das Lied vom braven Touristen soll hier gesungen werden, der mutig und entschlossen allen Fährnissen trotzt und immer wieder zu neuen Erlebnissen aufbricht. Diesmal gibt der mit einer glänzenden Preisverleihung eben abgeschlossene T.A.I. Werbe Grand Prix Gelegenheit, auch einmal den Mut der Werber (und ihrer Auftraggeber) ins Rampenlicht zu stellen. Weil sie vorgeblich eherne Faustregeln ihrer Branche bewusst brechen und dennoch – oder trotzdem – Erfolg damit haben. Da wird von einem weltbekannten Wintersportort ein TV-Spot ganz ohne farbenprächtige Filmsequenzen produziert, stattdessen ein mit wenigen Strichen gezeichneter Comic-Streifen, der unbändige Lust auf Bergurlaub macht.  Eine Versicherung wagt es, nach einer Folge wunderschöner Urlaubsbilder Szenen eines Krankentransportes inklusive Sanitäter und Blaulicht zu zeigen. Werbetexter schreiben lange Texte, die das Publikum nicht nur nicht überfordern, sondern sogar gerne gelesen werden. Weil sie einfach gut sind. Ein Hotel wiederum zeigt, was es von den ganz Großen gelernt hat, indem es auf seiner Website eine eigene Restplatzbörse einrichtet. Hoffentlich begleitet von einer guten Strategie, um den Vollzahlern ihren augenscheinlichen finanziellen Nachteil mit einigen Zuckerln glaubhaft zu versüßen.

Das sind nur einige wenige Beispiele bemerkenswert unkonventioneller Wege im Kampf um den Gast. Mehr davon sind in der Liste der Grand Prix Preisträger zu finden. Nicht dabei war diesmal die französische Staatsbahn SNCF, weil sie ihre neueste Werbeidee nicht eingereicht hat – die Umbenennung ihres seit sechsunddreißig Jahren in Betrieb stehenden und weltweit unter der Marke TGV bekannten Hochgeschwindigkeitszuges, einem Aushängeschild französischer Ingenieurskunst. Er läuft ab sofort unter dem Namen INOUI. Eine nicht nur mutige, sondern geradezu schon tollkühne Entscheidung, die jedem erfahrenen Markenexperten die Haare zu Berge stehen lässt. Selbst dem Vorstandsvorsitzenden der SNCF dürfte dabei nicht ganz wohl zumute sein. Erklärt er doch in einem Zeitungsinterview, auch wenn auf den Paradezügen seines Unternehmens nicht mehr TGV draufstehe, sei doch TGV drin. Warum das Ganze dann gemacht wurde, bleibt vorerst sein Geheimnis.

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