Zollfreie Gedanken

Beziehungskrisen

Print-Ausgabe 1. Dezember 2017

And the winner is ... leider nicht Wien. Bei der durch den Brexit notwendigen Vergabe der EU-Arzneimittelagentur EMA und der EU-Bankenaufsicht EBA ist Österreichs Hauptstadt leer ausgegangen. Schade für den Standort, der hochwertige Arbeitsplätze immer gut gebrauchen kann. Schade auch für die Tourismus- und Kongresswirtschaft in Wien und darüber hinaus im regionalen Umfeld. Arzneimittelexperten und Bankfachleute würden ja außer fürs Leben und Tagen in der Stadt sicher einiges Geld für Ausflüge in die nähere Umgebung oder gar für Ferien im Lande ausgeben.

Nachdem schon viel über die gründlich schief gegangene Bewerbung geschrieben wurde, hier nur eine grundsätzliche Anmerkung. Grundsätzlich deshalb, weil sie über den Anlassfall hinaus für jede Art Werbung ihre Gültigkeit hat. Sei es bei Reiseveranstaltern, sei es bei den Ausrichtern großer Kongresse oder wie hier bei politischen Entscheidungsträgern. Sie ist immer und vor allem anderen ein Beziehungsgeschäft. Langfristig und immer auch auf höchster Ebene. Wenn es also den zuständigen Regierungsmitgliedern nicht gelungen ist, im Vorfeld die notwendigen politischen Allianzen aufzubauen und wenn dann unzuständige in letzter Minute versucht haben, noch irgendetwas daran zu ändern, darf das Endergebnis nicht überraschen: Vier Punkte für Wien, drei davon von österreichischer Seite selbst und ein einziger von einer anonymen mitleidigen Seele. Da haben professionell gemachte Informationsbroschüren, Videos und Internetauftritte auch nicht mehr geholfen. Sie sind notwendig, beeindrucken die wirklichen Entscheidungsträger aber offenbar wenig. Ein anderes Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit drängt sich auf: Österreich ist angeblich höchst interessiert daran, einen direkten Anschluss an das größte globale Infrastrukturprojekt der nächsten Zeit zu bekommen – die von China initiierte Neue Seidenstraße. Entlang des alten, neuen Transportweges, für den Investitionen in Höhe von 900 Milliarden Dollar anvisiert sind, werden Logistikzentren, Transportknoten und Betriebsansiedlungen mit vielen zukunftssicheren Arbeitsplätzen entstehen. Gar nicht ausgeschlossen, dass auch für den Tourismus einiges abfällt. Bei der Auftaktsitzung in Peking drängten sich Staatschefs aus über hundert Ländern, Österreich war leider nur auf Botschafterebene vertreten, weil das zuständige Regierungsmitglied gerade Wahl kämpfen musste. Wer nur ein wenig mit den Gepflogenheiten in Asien vertraut ist, weiß, dass dieses Fernbleiben schlicht als Affront gewertet und gebührlich registriert wurde. Jetzt versuchen gerade Wirtschaftskammer und ÖBB in direkten Gesprächen zu retten, was noch zu retten ist. So digital kann das Zeitalter eben doch nicht sein, dass es letztlich nicht auf sorgfältig gepflegte persönliche Kontakte ankäme.

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