Print-Ausgabe 22. September 2017
Die Frage war rhetorisch. Die gute Freundin, die sie da auf Facebook stellte, weiß natürlich selbst, dass „die“ alles andere als „wahnsinnig“ sind. Sie sind nur unverschämt. Maßlos. Gierig. Und sie wissen, dass sie damit durchkommen. Nicht nur bei Leuten, die ein erstes Mal in ihre Falle tappen: Die gute Freundin ist vom Fach - und nicht zum ersten Mal in Venedig.
Trotzdem: „Sind die wahnsinnig geworden?“ stand bei einem Foto, bei dem sie nicht einmal den Entstehungsort angeben musste: Venedig, den Markusplatz, erkennt man. Nicht nur den grandiosen Platz: Ein Kaffeehaus-Kassabon reicht vollkommen.
„Sind die wahnsinnig geworden?“ Auf der Rechnung fanden sich nur zwei Posten: Capuccino und Wasser. Ergibt 26 Euro. Sechzehn für Kaffee, zehn für Wasser. 0,25 Liter. Oder doch 0,3? Würde eine einzige Tankstelle – egal wo – Benzin so bepreisen, gäbe es einen Aufstand. Die Politik würde reglementierend eingreifen. Aber Wasser und Kaffee? Das geht. Wird fassungslos-fasziniert akzeptiert – und richtig verortet: „Venedig!“ lautete die erste Reaktion aufs Bild im Netz. Nachsatz: „San Marco, oder?“ Und mit Smiley: „Immerhin: Kein Musikzuschlag.“ Der kommt nämlich noch on top. „Sind die wahnsinnig geworden?“ Nein, nicht „die“: Wir. Weil wir durch unser Konsumverhalten solche Preise legitimieren – und mitunter sogar wieder kommen.
Erstellt am: 22. September 2017
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