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Wie man das Arbeitsklima stört

Print-Ausgabe 20. April 2018

„Fast die Hälfte der Kellnerinnen will wechseln – der Arbeitsklimaindex zeigt die hausgemachten Probleme der Gastronomie auf“. Mit dieser Schlagzeile präsentierte die Arbeiterkammer Oberösterreich den von ihr betreuten Index, der zwei Mal jährlich eine Momentaufnahme der Arbeitszufriedenheit in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen aus der Sicht der Mitarbeiter zeigen soll. Von den Medien wurde der eingängige Sager samt der Begründung bereitwillig aufgegriffen, warum dem rekordverwöhnten Wirtschaftsbereich die Mitarbeiter davon laufen: Die oft schwer planbaren, mit Überstunden ausgedehnten Arbeitszeiten belasten die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, hohe Stress- und körperliche Belastung und ein Einkommen, mit dem nur 38 Prozent gut über die Runden kommen. „Die Probleme in der Gastronomie sind hausgemacht“, erklärte dazu AK-Oberösterreich-Präsident Johann Kalliauer. „Anstatt über einen Mangel an qualifiziertem Personal zu jammern, sollten die Wirte und Hoteliers lieber vor ihrer Tür kehren, ihre Beschäftigten ordentlich behandeln und die Lehrausbildung wieder forcieren.“

Im November des Vorjahres wurde die letzte „Sonderauswertung“ des Arbeitsklimaindex für den Tourismus so präsentiert: „Nach einer zehnjährigen Aufholjagd ist der Tourismus endlich da angekommen, wo alle anderen Branchen sind. Gehen die heimischen Unternehmer diesen Weg weiter, wird der Tourismus bei der Attraktivität bald nicht mehr zu den Schlusslichtern zählen“. Als positiv angeführt wurden eine kräftige Einkommenserhöhung und erkennbare Bemühungen in den Defizitbereichen Arbeitszeiten und Weiterbildungsmöglichkeiten. Damit ging auch die „Fluchttendenz“ zurück.

Auf den ersten Blick fragt man sich, was für eine Katastrophe stattgefunden haben muss, um die Einschätzung des „Arbeitsklimas“ in wenigen Monaten geradezu in die Gegenrichtung zu drehen. Auf den zweiten erkennt man: Gar nix ist passiert, die – fast – gleichen Zahlen wurden nur anders dargestellt. Viele Details wurden an dieser Stelle bereits erläutert, daher diesmal nur der „Fluchtfaktor“: Im Vorjahr wurde positiv vermerkt, dass der Anteil jener, die ihren Job im Gastgewerbe unverändert beibehalten wollen, von 50 Prozent im Jahr 2004 auf 61 Prozent angestiegen ist. Diesmal wollen sogar 66 Prozent keinen Jobwechsel. In die Auslage gestellt wurden aber die KellnerInnen, von denen der Anteil jener, die den Arbeitgeber oder die Branche wechseln wollen, von 39 Prozent im Jahr 2010/11 auf 46 Prozent oder „fast die Hälfte“ gestiegen ist. Dafür hat sich aber im gleichen Zeitraum der Anteil der abwanderungswilligen KöchInnen von 32 Prozent auf 17 Prozent nahezu halbiert. Gründe für diese gegenläufige Entwicklung sind nicht erkennbar, der Verdacht, dass die für eine verlässliche statistische Darstellung zu geringe Anzahl der Befragten schon bei kleinen Veränderungen an der Basis zu überproportionalen Auswirkungen auf das Ergebnis führt, ist naheliegend.

Auf der Suche nach einer Begründung für die unterschiedliche Darstellung der Indexwerte landet man bei deren Urhebern: Seit es eine eigene Auswertung für den Tourismusbereich gibt, wurden die Ergebnisse von der Dienstleistungsgewerkschaft Vida bei einer Pressekonferenz vorgestellt. Diesmal trat erstmalig die AK Oberösterreich selbst in Wien in Erscheinung. Eine Begründung dafür war nicht zu bekommen, Präsident Kalliauer erklärte, das sei immer so gewesen, obwohl das Gegenteil leicht belegbar ist, und bei der Gewerkschaft gibt man sich überrascht und beschränkt sich auf die Feststellung, dass es „keinerlei Unstimmigkeiten“ gebe. Die Frage eines AK-Mitarbeiters, ob bei der letzten Vida-Präsentation nicht auch „Unternehmervertreter“ dabei gewesen wären, weckt den Verdacht, dass der AK das Verhältnis zu amikal wurde. Tatsächlich hat die Gewerkschaft im Herbst in Verbindung mit der Präsentation des Arbeitsklimaindex eine Podiumsdiskussion mit der ÖHV und prominenten Unternehmern auch aus dem Kammerbereich durchgeführt, die erstmalig eine echte Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit bei der Lösung der Probleme erkennen ließ. Berend Tusch, Chef des Fachbereiches Tourismus der Vida, hob hervor, dass die Branche auf einem guten Weg sei und weitere Gespräche noch vor dem Sommer stattfinden würden. Gastronomie-Verbandsobmann Mario Pulker stellte in einem Interview fest, dass für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bereits einiges geschehen sei und die Bemühungen darum fortgesetzt würden. Wenn das zarte Pflänzchen überleben soll, ist eine gezielte Klimastörung wenig hilfreich – schon gar nicht von Seiten der AK.

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