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Wenn der Erfolg zum Problem wird

Print-Ausgabe 10. Jänner 2019

Von 52 untersuchten europäischen Städten ist Wien unter den neun „leuchtenden Sternen“ einer gesunden touristischen Entwicklung, gemeinsam mit z.B. Rom, London oder Berlin, nur übertroffen von der Spitzengruppe Paris, Zürich, Stocksholm und Luzern. Salzburg ist hingegen – gemeinsam etwa mit Prag – in der Vierergruppe, die gefährdet ist, in die Falle des Massentourismus zu geraten. Diese Positionierung hat eine europaweite Studie zum Thema, „Wie man eine Stadt vor Overtourism bewahrt“, ergeben, die vom Beratungsunternehmen Roland Berger gemeinsam mit der ÖHV erarbeitet wurde. Bereits unter dem Druck des Massentourismus stehen acht Städte, zu denen neben dem Overtourism-Star Venedig auch Barcelona oder Kopenhagen gezählt werden. Vier – etwa Hamburg oder Madrid – erreichen das Stadium „Sustainable (nachhaltiger) Tourismus“ und der größten Gruppe von 23 wird noch „ungenutztes Potential“ attestiert – z.B. Budapest oder Verona.

Die Studie ist – soweit bekannt – der erste Versuch, das Thema Overtourism systematisch zu erfassen. Das sollte man positiv hervorheben, wenn man ihre Schwachpunkte aufzeigt. Die beginnen schon bei der fehlenden Definition: Wann wird Erfolg im Tourismus zur unzumutbaren Belastung? Wenn mehr als ein paar Einwohner gegen das Zertrampeln ihrer Lebensqualität durch zu viele Touristen auf der Straße randalieren? Vom „Fluch des Massentourismus“ zu reden, ist jedenfalls überzogen: Er kann unter den richtigen Voraussetzungen durchaus ein erfolgreiches Geschäftsmodell sein.

In Ermangelung einer anderen Basis wurden, wie Roland Berger-Manager Vladimir Preveden erklärte, zwei zentrale Messgrößen eingeführt: Die „Tourismus­intensität“ in Form der Zahl der Nächtigungen pro Einwohner, und die Wertschöpfung, dargestellt durch den „REVPAR“. Nun ist der Umsatz pro verfügbarem Zimmer zwar ein Maßstab für die Wertschöpfung der Beherbergungswirtschaft, aber nicht für den Tourismus insgesamt. Der wirksamste Treiber für das Phänomen Overtourismus ist ein ausufernder Tagestourismus, deren All-Inclusive-Teilnehmer der lokalen Wirtschaft oft weit weniger Wertschöpfung bringen, als der Infrastrukturbelastung entsprechen würde. Die Hotellerie als einziger Maßstab insinuiert aber, dass der Besuchstourismus selbst überhaupt keine Wertschöpfung bringt, und das stimmt natürlich gar nicht, wie Studien auch am Beispiel Salzburg ergeben haben. Und die Schwäche der „Tourismusintensität“ ist offensichtlich: Venedig hat 261.000 Einwohner, die Altstadt in der Lagune, wo sich der gesamte Tourismus abspielt, nur mehr 55.000. Was gilt? Das Phänomen Overtourism ist meist auf begrenzte Zentren konzentriert. Als tragfähige Basis für ein Ranking sind diese beiden Parameter alleine wenig überzeugend.

Wenn Städte touristische Überlastungserscheinungen zeigen, „wurden sie Opfer ihres eigenen Erfolges“, meint ÖHV-Generalsekretär Markus Gratzer. Das sei „wirklich nicht notwendig, aber glücklicherweise reversibel“. Die Studie listet sieben Ansätze für Maßnahmen auf, die man – von der Umlenkung auf weniger belastete Stadtviertel bis zu Zugangsbeschränkungen mit Zeitslots – alle kennt, aber mit nur punktueller Wirkung. Einschneidende Kapazitäts­einschränkungen werden selten getroffen: Grundvoraussetzung wäre eine gemeinsame Strategieentwicklung von Tourismus und der Stadt (= Politik): Die Interessen der „Stakeholder“ sind so unterschiedlich, dass sie die Politik kaum unter einen Hut bringen kann.

Was Wien so erfolgreich macht, erklärte Wien Tourismus-Chef Norbert Kettner: Die strukturelle Entwicklung der Stadt und die Konzentration auf den Premium-Sektor im Marketing – „Massentourismus braucht keine Werbung“. Daraus kann man viel lernen – ein wiederholbares Rezept gegen Overtourism ist es nicht.

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