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Von schönen Visionen zum wirklichen Leben

Print-Ausgabe 17. Mai 2019

Bei der Buchung von Hotelzimmern werden standardisierte Gästezimmer, wie wir sie gewohnt sind, bald ausgedient haben. Stattdessen werden sich die Gäste an Ausstattungs- und Einrichtungsmerkmalen orientieren, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Dafür gibt es auch schon einen Fachausdruck: „Attribute Based Booking“, das „personalisierte Zimmer“, das jeden Aufenthalt einmalig macht.

Wie man sich das vorzustellen hat, erklärt eine Studie, die der Technologie-Anbieter Amadeus und die International Hotels Group präsentierten. Unter dem Titel „Drivers of Change in Hospitality“ wird dargelegt, welche Trends zu Veränderungen im Tourismus führen. Das für die individuellen Ansprüche maßgeschneiderte Hotelzimmer wirkte auf Zukunftsforscher seit jeher inspirierend. Über Ansätze für dieses „Customizing“ ist man aber kaum hinausgekommen: Ein „Polsterservice“, das die Wahl zwischen verschiedenen Kopfpolstern ermöglicht, wird von manchen Häusern angeboten, das Gleiche für Matratzen gibt es nur in Einzelfällen. Den Studienautoren schwebt aber natürlich viel mehr vor, etwa der Austausch des Schreibtisches gegen eine Yogamatte (oder umgekehrt). Oder ein Zimmer mit einem ganz bestimmten Ausblick. Sie stellen auch die Frage, ob ein Hotelaufenthalt nach Tagen gebucht und abgerechnet werden muss, wenn ein „Time Slot“ doch wesentlich flexibler wäre.

Für PraktikerInnen, die den Hotellerie-Alltag kennen, muss diese Vision einer totalen Individualisierung wie eine Anleitung zum teuren Chaos erscheinen: Schon logistisch ist dieser Aufwand nur mit viel Personal zu bewältigen. Und die „Digitalisierung“ hilft auch nicht: Pepper – der bisher einzige Roboter mit Namen – kann weder Schreibtisch noch Yogamatte schleppen, wenn auch nur die kleinste Stufe den Weg behindert. Solange elek­tronische Buchungssysteme mit den Zusatzleistungen zu einer simplen Pauschalurlaubsreise ihre Leistungsgrenze erreichen, ist der Weg zum maßgeschneiderten Hotelaufenthalt noch weit.

Wer wünscht sich diese extreme Personalisierung eigentlich? In der Studie wird behauptet, dass von 7.500 Befragten Konsumenten auf 12 Märkten 56 Prozent in Europa, 67 Prozent in Amerika und 75 Prozent in Asien nach persönlichen Bedürfnissen maßgeschneiderte Hotelzimmer schon erlebt haben bzw. gerne erleben würden. Der Spitzenreiter ist Indien: 42 Prozent sollen dieses Erlebnis bereits genossen haben, weitere 40 wären daran interessiert. Die Frage, wer da wo was konkret gefragt wurde, kann man sich eher ersparen.

Im wirklichen Leben geht es anders zu, wie das Beispiel der Übernahme der Starwood Hotels durch Marriott zeigt: Dass Minibars in Hotels ein wirtschaftliches Problem sind, weiß man seit langem. Die Lösung von Marriott am Beispiel West Grand in München: Im Zimmer am Executive Floor gähnt ein leerer Kühlschrank. Man kann ihn für eine Pauschale von 40 Euro mit Getränken – auch alkoholischen – bestücken lassen, alkoholfrei um 20 Euro. Was davon konsumiert wird, ist egal, der Pauschalpreis ist fällig. Außerdem kann man bei einem Laden in der Hotelhalle Getränke, Minibar-Snacks und ein paar Kosmetikartikel zu moderaten Minibarpreisen einkaufen und selbst ins Zimmer transportieren. Für ein Ferienresort eine akzeptable Lösung, für Spitzenhotels die Bankrotterklärung für ein 5-Sterne-Service.

Man hat nicht den Eindruck, dass die Befindlichkeit der Gäste eine große Rolle spielt. Das Starwood Kundenbindungssystem wird auf das konzernweite „Bonvoy“-Programm heruntergespart, ohne die Betroffenen ausreichend zu informieren. Dass bei dieser Gelegenheit Millionen Gästedaten gestohlen wurden, ist dem Unternehmen kaum mehr als ein halbherziges „Sorry“ wert. So schaut die Realität aus. Visionen, die sie ausblenden, mögen erfreulicher sein – hilfreich sind sie nicht.

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